Bolivien – Eine Rose unter Disteln

Bolivien – Eine Rose unter Disteln

Gern höre ich den Wegbeschreibungen und Tipps anderer zu. Meine Neugierde wird entfacht, wenn man mir sagt: dieses oder jenes kannst du auslassen. Das ist zu überlaufen oder da gibt es Nichts zu sehen, das ist zu hässlich, zu laut, das wird dich langweilen. Dann denke ich mir: warum nicht doch? Vielleicht finde ich das gewisse Etwas, die Rose unter den Disteln.

Uyuni, die Stadt am größten Salzsee ist zum Beispiel so ein Ort. Sie ist wahrlich kein hübsches Mädchen. Ich vergleiche sie mit einem verwahrlosten Hundezwinger. Im Außenbezirk reihen sich stinkende Abfallhäufchen und wertlos gewordene Plastikspielzeuge aneinander. Der Geruch nach faulendem Wasser und Urin foltern die Nase. Gelangt man ins Zentrum, zu Fressnapf und Hütte, wirkt es aufgeräumter. Das Hündchen selbst ist satt und freundlich.

Der erste Eindruck soll allerdings nicht der Grund sein, das alles schnellstmöglich hinter sich zu lassen. Nein im Gegenteil, dieser provokative Empfang verlangt nach tiefgründigerem Schürfen.

Uyuni ist das Basecamp vieler Reisender, die mehr erwarten und vieles mehr bekommen können. Die erste Attraktion ist der Friedhof der Lokomotiven. Einst Symbol des Fortschritts, heute unbrauchbar, den Elementen ausgeliefert, korrodierend, sind sie heute Spielstätte tausender Touristen. Zur skurrilen Fotokulisse verdammt, setzen sie das gewisse i-Tüpfelchen in die Urlaubsbilder. Immer wieder amüsieren mich eben noch ausdruckslose Gesichter, die im Moment des Auslösens der Kamera ein brillantes Lächeln hervorzaubern können. Ein herzhaftes Lachen kann ich dann nicht mehr unterdrücken, wenn die verrücktesten Posen, manchmal in akrobatischen Verrenkungen gezeigt werden.

Das zweite Highlight ist der Salar de Uyuni. Fast 11000 Quadratkilometer groß, 3650 Meter hoch gelegen, in zartes blau und grelles weiß gewandet, flach, endlos, menschenleer erscheinend, ist er ein Naturschauspiel, der zu verrückten Späßen einlädt. Um ihrem Freiheitsrausch Ausdruck zu verleihen, radeln zum Beispiel manche Fahrradreisende nackt über ihn. Dem Vergnügen dürften jedoch Kälte und UV-Einwirkung nach kurzem Zeitraum ein Ende setzen.

Eine dritte Attraktion ist eine mehrtägige Jeep Safari zu farbenprächtigen Lagunen.

Besonders kraft- und ausdauerstarke Radreisende nehmen in 12 bis 15 Tagen diese Gewalttour bis nach San Pedro de Atacama in Chile unter ihre Räder. Vor mehr als 10 Jahren bedeutete die Trinkwasserversorgung in diesem langen Zeitraum ein Problem. Heute verlassen sich die Biker auf die Hilfsbereitschaft der Jeepfahrer, die ausreichend Getränke mitführen.

Gern erinnere ich mich an die abenteuerlichen Beschreibungen mancher Kollegen, an ihr Lächeln, ihre glasigen Augen, wenn sie Erlebtes wiedergaben. Warum, so frage ich mich heute, möchte ich nicht auch ein Stück von diesem schokoladigsten Kuchen aller Kuchen? Was lässt mich zögern?

Ich kenne die Strecke nicht im Detail, aber ich weiß, wie sich eine Sand-, Waschbrett-, Schotterpiste anfühlt, welche Schmerzen das tagelange Schieben eines sechzig Kilogramm schweren Fahrrades bereiten kann. Ich kenne den Einfluss der endlos scheinenden Staubpiste, der Landschaft, des schwindenden Wasservorrats und der physischen Kräfte. Auf anderen Reisen führten sie mich in Grenzbereiche, zeigten mir ein anderes selbst, das zornig, schreiend, heulend nicht mehr weiter wollte. Und ich weiß, das genau dieses zweifelhafte Vergnügen mich auf dem Weg zu den Lagunen erwartet. Soll es das wert sein? Kann die Schönheit dieser lebensfeindlichen Natur genug streicheln und Trost spenden? Mich high und betrunken machen um die Strapazen nicht mehr spüren zu müssen? Vielleicht ein andermal! Wenn ich mutiger bin, wenn mich die Sehnsucht nicht mehr schlafen lässt, wenn die Neugierde mich an nichts anderes denken lässt, als an bolivianische Lagunen.

Mein persönliches Highlight dieser Tage ist das „Casa Ciclista Pingüe“. Es ist ein Nest voller bunter Zugvögel. Mit Zugvögeln meine ich Radreisende, die zum kurzweiligen Ausruhen hier landen. Es ist ein freundliches, kuscheliges Nest, dessen Wärmequelle die Gastfreundschaft der drei M´s ist – Macarena, Miriam und Max.

Wie Puderzucker auf Backwerk versüßt jeder Bewohner die gemeinsamen Tage. Die einen erfreuen die Ohren durch Gitarrenspiel, die anderen verwöhnen Gaumen und Magen mit italienischer Hausmannskost. Wieder andere reparieren das, was der Zahn der Zeit zerfressen hat. Ich setze fort, was Farbjongleure begonnen haben – ich bemale die Wände mit drei neuen Motiven.

Nach fünf unvergesslichen Tagen wird es Zeit die Reise fortzusetzen, jeder für sich auf seine eigene individuelle Art und Weise.

2 Gedanken zu „Bolivien – Eine Rose unter Disteln

  1. liebe Astrid,
    herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag !!!
    alles erdenklich Gute wünschen Dir
    Georg und Petra
    …und eine schöne Feier … sie wird sicher außergewöhnlich schön !!!
    liebe Grüße auch an Deinen Mann
    und weiterhin eine angenehme Reise!!!

  2. Hallo ihr Lieben, vielen Dank für die Glückwünsche. Es freut mich immer von zu Hause zu lesen. Gefeiert haben wir in Potosi bei Bier und Burger😉…also nicht so außergewöhnlich.

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