Die Überquerung der Anden am Aqua Negra

Die Überquerung der Anden am Aqua Negra

Wenn jemand wissen möchte, ob eine Welt bestehend aus Steinen, Dreck und Sand eine ähnliche Farbenpracht entwickeln kann wie eine Sommerwiese, dann sollte er die Anden am Aqua Negra Pass überqueren.  In Chile, in La Serena, am Meer beginne ich meinen Anstieg. Es sind 4770 Meter an Höhe zu überwinden. Vielleicht sind es auch weniger. Das mir zur Verfügung stehende Infomaterial ist in seinen Beschreibungen nicht ganz eindeutig.  Meine persönlichen Einschränkungen in Form von Atemnot und einem Leistungsabfall zeigen sich meistens ab einer Höhe von 3000 Metern. Auch verändert sich der Schlaf bei Nacht. Träume scheinen intensiver, fantasievoller und geraten weniger schnell in Vergessenheit.  Nach eigener Erfahrung kann die Langsamkeit beim Aufstieg entscheidend sein, ob und wie stark Symptome der Höhenkrankheit auftreten können. Ich gebe meinem Körper Zeit, mit den neuen Bedingungen klarzukommen. Häufiges Trinken, hiermit ist nicht der gesteigerte Alkoholkonsum gemeint ;), sich nicht all zu sehr verausgaben und ausreichend schlafen unterstützen die Anpassung. Sollten dennoch Anzeichen der Höhenkrankheit auftreten, nehme ich einen Abstieg oder sogar ein Aufgeben in kauf. Doch zunächst schiebt mich ein kräftiger Rückenwind spielerisch leicht an Weinanbaugebieten, Stausee und lieblichen Ortschaften vorbei. Bis es ab dem dritten Schlafplatz am Ufer eines weiteren Sees keine Asphaltstraße mehr gibt. Ab hier beginnt das Abenteuer. Hier tauche ich ein in die zauberhafte Welt der bunten Gipfel. Ich lasse den Lärm eines hektischen, Massentourismus hinter mir, lege ihn beiseite wie einen muffigen, zu lang getragenen Mantel, werde eins mit der Landschaft, werde wolkenloser Himmel, bunter Stein, klarer Gebirgsbach, nehme die Farben der staubigen Piste an. Atme Staub. Schmecke Staub, wische ihn aus den Augen ohne dabei mein blödes aber höchst zufriedenes Grinsen zu verlieren. Ich bin glücklich. Ja, einfach glücklich. Nach vier Zeltnächten unter funkelndem Sternengewand und dem fünften Klettertag beißt ein eisiger Wind in meine nach oben gestreckte Viktoryhand. Der höchste Punkt, der Pass Aqua Negra ist erreicht. Die Kälte erlaubt nur ein schnell geknipstes Foto. Geschwind ziehe ich warme Kleidung über und verlasse den Ort. Erst an einem weniger Sturm umtosten Platz kann ich eine Pause, den Ausblick und das Hochgefühl genießen.  Die andere, die argentinische Seite kommt mir noch farbenprächtiger vor. Bewundernd verharre ich und lass mich von der Schönheit berauschen. Mein Blick versinkt in einem grandiosen Flusstal, gesäumt von sterbenden Gletschern. Ich möchte diese Welt umarmen, an mich pressen, sie einatmen, einbrennen in mein Gedächtnis, um niemals zu vergessen wie schön sie ist.

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