Chile 2 – entlang der Panamericana

Chile 2 – entlang der Panamericana


Noch immer versuche ich das Chile zu finden, das dem 12 Jahre jüngeren nahe kommt. 
Ein Land, das mit einer fantastischen, wilden Natur, fast ohne Autoverkehr verwöhnte.

Valparaiso tröstet mich. Es ist eine Stadt der Kunst, der Graffitis, eine Stadt, die Musiker, Maler, Schreiber aus allen Kontinenten anzieht. Sie wirkt etwas chaotisch, sehr lebendig, dennoch positiv. Ihre Ausdehnung erstreckt sich vom Meer hinauf über zahlreiche Hügel. Die Gassen sind steil und schmal, meist über Treppen oder durch Bergbahnen miteinander verbunden. Herrlich, man geht zu Fuß. Es ist die passende Geschwindigkeit um eine grandiose Galerie farbenprächtiger Wandmalereien bewundern zu können. Das ist meine Welt. Hier oben finde ich das ersehnte Flüstern. Die Luft knistert, fast greifbar schweben Visionen im Raum. Ich fühle mich leicht, kreativ, voller Farben. Ich bin wieder ich.

Die Studentenwohnung, die wir bezogen haben, ist zu dieser Zeit verweist. Noch immer sind Ferien. Alle Zimmer sind geräumt. Die Musik der Nachbarhäuser lässt es dennoch nicht zu verlassen wirken. Am Abend sitzen die Jungen rauchend vor der Tür, ihr Lachen füllt die leeren Räume. Nachts schleichen Katzen auf sanft gesetzten Pfoten über die Dächer in der Hoffnung ein offenes Fenster zu einem kuscheligen Platz zu finden.
Das leise Schnurren der kleinen Tiger ist mir mittlerweile willkommener als die lärmend, jagenden Hundebanden, die meist Stress für Radfahrer bedeuten. 

Beim Verlassen der Stadt durchfahren wir die unterschiedlichsten Viertel. Es ist wie eine Zeitreise durch Chile, beginnend im Unesco geschützten Altstadtteil aus dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, bis zu einem durch Hochhäuser geprägten Vina del Mar. Anfang und Ende wirken fantastisch irreal. Das eine geboren aus dem Reichtum einer Hansestadt, irgendwann vergessen und vernachlässigt wie eine alternde Schönheitskönigin, jedoch kurz vor dem Ableben frisch geputzt, geschmückt und aufgehübscht. Das andere spiegelt eine wohlhabende, junge, spritzige, getunte Gesellschaft, die glaubt zu wissen, wie man heute zu leben hat. Beides ist knallig bunt. Faszinierend.
Mit jedem Tag, mit jedem Kilometer wächst der Abstand zu den Metropolen. Der Norden Chiles lockt mit seinem Schweigen. Noch ist es nicht soweit. Noch brüllt der Schwerlastverkehr über die Autobahn. Aber ich kann es erahnen. Die Landschaft verändert sich. Sanddünen scheinen aus dem Meer herauszuwachsen, werden aus welligen Hügeln zu Bergen. Riesige Kakteen schießen in den Himmel. Ihre borstigen Köpfe schimmern im Gegenlicht pankerhaft rot. Im nachmittäglichen Aufwind drehen Kondore ihre Kreise.
Das kommt dem Chile schon sehr nahe, das ich so viele Wochen vermisst habe.

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