Reisegefährten

Reisegefährten

Wenn ich reise, freue ich mich auf Begegnungen mit Artgenossen. Besonders nach langer Abstinenz.
Früher glaubte ich, in der Einsamkeit, in einer Landschaft aus Nichts die Erfüllung zu finden. So wohltuend das Schweigen sein kann, weil es einen total auf sich selbst fokussiert, so bedrückend ist es auf Dauer. Irgendwann muss man die angestauten Worte herauslassen, seine Gedanken mitteilen, austauschen, mit anderen tanzen, ringen, sie streicheln lassen. Das macht uns als soziale Wesen aus.
Reist man etwas abseits ausgetretener Pfade, kann es dauern, bis man jemanden trifft, der auf gleicher Frequenz schwingt. Jedoch irgendwann, als gäbe es geheime Zeichen, findet man sich.

Der Reisegefährte, von dem nun die Rede sein soll, ich möchte ihn Anton nennen, sucht zu den Silvesterfeiertagen eine Unterkunft.
Der Ankömmling auf dem alten Fahrrad weckt sofort meine Aufmerksamkeit. Seine Taschen sind staubig, gezeichnet von Regen und Sonne. Sie sind prall gefüllt. Ich möchte an den Verschlüssen zippen, den Inhalt, einschließlich ihrer Geschichten, herausplatzen lassen.

Anton nimmt mich nicht wahr. Er braucht ein Bett, eine Dusche – keine neugierige Plaudertasche. Unser Hostel ist ausgebucht. Er zieht weiter. Ich bedaure es nicht. Die Erfahrung lehrt mich, dass man Menschen, die für einen wichtig sind, immer wieder trifft.

Zwei Tage später, beim Mittagessen an der Straße, steht er vor mir. Schweigend. Schauend. Gelassen.
Anton ist ein Mensch, der die Freiheit besitzt, sich vorzeitig aus seinem Berufsleben zurückziehen und vielleicht nach dem Reisen wieder in etwas ganz anderes, etwas ganz neues einsteigen zu können. Jetzt entdeckt er die Welt auf zwei Rädern, neue Wege, ein neues spannendes Leben, vielleicht ein weiteres Stück von sich selbst.
Da hatte ich meinen Philosophen, den ich ab und zu zwecks Gedankenaustausch brauche. Für die nächsten Tage reisen wir mehr oder weniger gemeinsam. Nicht immer passen Tempo oder Vorlieben für Abstecher zusammen. Das sollen sie auch nicht. Jeder unternimmt schließlich seine eigene Reise.
An einem Tag passt jedoch alles gut. Aus diesem möchte ich eine lustige Begebenheit erzählen: Es ist zur Mittagszeit. Die Temperatur, wie an den Tagen vorher, über 40 Grad Celsius heiß. Es bietet sich ein Platz zum Rasten direkt neben einem Gaucho – Gill – Gedenkstein. Nebenbei sei erwähnt, Gaucho Gill ist eine Art Schutzpatron der Reisenden. Oft beobachtet man Autofahrer wie sie einen kurzen Stopp einlegen um kleine Geschenke wie Zigaretten, Wasser oder so wie hier Wein zu spenden.
Anton möchte alles ganz genau wissen und inspiziert die Stätte. Der Wein weckt sein Interesse. Das Siegel der Verpackung ist noch nicht aufgebrochen. In seinem Gesicht geht die Sonne auf. Breiter kann ein Grinsen wohl kaum sein.
„Nein, das wirst du nicht….“ protestiere ich.
“Der ist doch noch gut, oder? Außerdem viel zu schade um in der Sonne zu vergammeln.“ sein Einwand
Er holt seinen Kaffeebecher, öffnet den Tetrapak, schnuppert hinein und bedient sich.
„Sag prost zum Gaucho, sonst ist er beleidigt. Und gib ihm einen Schluck ab.“
Verstohlen schaue ich mich um. Checke ob irgendjemand in der Nähe ist. Ich bin mir sicher, dass man selbst im besucherfreundlichen Argentinien den Schutzheiligen den Alkohol nicht wegtrinkt. Anton sieht es gelassen und bietet auch mir einen Becher voll an.
„Nein danke, ich hätte jetzt lieber ein kaltes Bier. “
„Zuviel Respekt?…“ fragt er und schon sind wir in einer angeregten Diskussion über Religionen, Spiritualität, Sinn und Unsinn verwickelt. Genau das ist es, was ich an meinen Reisebegegnungen so liebe – neben praktischen Informationen gibt es auch immer einen fruchtbaren Gedankenaustausch und gratis das Gefühl, nicht der einzige “Spinner“ auf dieser Erde zu sein.

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