Nicht jeder ist dein Freund

Nicht jeder ist dein Freund

Es ist ein Trugschluss unsererseits zu glauben, dass alles leichter und unkompliziert in Europa, bezüglich eines Grenzübertritts von statten geht. Dort, wo definitiv noch so etwas wie eine Grenze oder ein verschlossenes Tor ersichtlich ist, wird zuweilen emsiger gearbeitet als an manchen Flughäfen.
Den Beweis erbringt ein gedankenlos in den Raum gestellter Witz beim Übertritt von Griechenland nach Mazedonien.
Auf die Frage des Zöllners, seine Mimik hätte Warnung genug sein müssen: ,,Was ist in den Taschen?“
Antwortet Mewes ebenso ernst, nur ich sehe den Schalk in seinen Augen: ,,Vorn links ist Alkohol, rechts sind Zigaretten und hier ist Dynamit….!“
Der Zöllner lässt sich diese Aussage dreimal vorkauen. Sein Gesichtsausdruck bleibt unverändert.

Mewes darf auspacken!

Zuerst eine Tasche…, dann die zweite….
Der Einwand, dass alles nur ein Witz war, um die kühle Stimmung zu lockern, wird zwar registriert,mittlerweile liegen unsere Schlafsäcke, Bücher Klamotten, Werkzeug und Reparaturkits durcheinander auf dem Kontrolltisch, Mewes ist jedoch keineswegs entlassen. Die von vornherein zum Scheitern verurteilte Suche geht weiter.

,,Wo ist das Dynamit?!“ forscht der Beamte. Sein Körper signalisiert fast sichtbar das Muskelspiel eines gereizten Stieres. In seinen Augen blitzt es zornig:

DU VERARSCHT MICH NICHT !!

Der grimmige Blick meinerseits schleudert Mewes eine Verwarnung zu. Keine weiteren Provokationen!
Er verkneift sich daraufhin ein zackiges: ,, Ja, Sir! Zu Befehl Sir!“

Ein zweiter Zöllner tritt hinzu.
Der erste erklärt: ,, Ich suche Dynamit! Er sagt, dass er Dynamit in seinen Taschen hat.“
Nummer zwei zieht erstaunt die Augenbrauen hoch, lässt diese sogleich wieder sinken, als Mewes erklärt:
,, Es war ein Witz. Entschuldigung – es war nur ein Witz – nichts weiter!“
Nummer zwei schüttelt den Kopf, macht eine unverständliche Bemerkung und geht.
Der erste lässt auspacken!
Als der Tisch den Inhalt der Fahrradtaschen nicht mehr aufnehmen kann, ein weiterer Berg bereits davor entsteht, lässt der Beamte ab. Knurrend zieht er sich zurück. Schweigend packt Mewes wieder ein.
Das Missverständnis hinterlässt eine gedrückte Stimmung.

Verwanzt – auch ohne STASI

Dank des neuen GPS ist es kein Problem das Hostel in den schmalen, winkligen Gassen der Altstadt von Ohrid zu finden. Ein in rot, gelb, grün hinterlegtes Porträt von Bob Marley begrüßt uns im Hausflur. Weitere Gäste relaxen im Garten. Die Atmosphäre ist gelassen. Alles wirkt gemütlich. Wir beziehen ein Doppelzimmer.

Das Frühstücken am nächsten Morgen gleicht dem Kampf einer Großfamilie um die besten Happen aus einer Schuppenschüssel. Nicht das es an Essen mangeln würde, es mangelt an … einem ordentlich aufgebautem Buffet, wo man sich anständig in die Warteschlange einreihen und wenn man bei den ,,Trögen“ angekommen ist, kräftig zulangen kann. Normalerweise vermisse ich nicht dieses Relikt eines bürgerlichen Lebens – heute ein wenig.
Tatsache ist: alle wollen gleichzeitig Herd, Pfanne zum Eier braten, Geschirr, Besteck, Küchentisch Butter, Marmelade, Käse … in Beschlag nehmen. Aus meiner Ecke beobachte ich die Vorstellung. Den Kaffee konnte ich gerade noch vor dem Ansturm übergießen. Ich greife nach dem, was ich auf dem Küchentisch, ohne kämpfen zu müssen, erreichen kann. Schokocornflakes mit Milch. Die Flocken erzeugen ein lautes Krachen in meinem Kopf, das jedoch genauso von der Geschäftigkeit in der Küche herrühren könnte. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass die Leute im Urlaub sind, dass sie wenigstens einen Gang ihrer Rakete, die sie ihr Leben oder ihr Überleben nennen, runter geschaltet haben. Erstaunt stelle ich das Hervortreten urzeitlicher Instinkte fest, die immer dann zu beobachten sind, wenn Menschengruppen entstehen. Bewegt sich einer hektisch, werden alle anderen ebenso unruhig. Strebt einer in eine bestimmte Richtung, folgen die anderen. Greift er oder sie nach einem Ding, weckt es die Begierde der anderen. Als bräuchte jede Handlung einen Initiator. Dabei sind wir doch alle Individualisten!?
Nach einer Stunde hat sich das Küchengewitter verzogen. Zeit für die zweite Tasse Kaffee.

Der nächste Morgen hält eine weitere Überraschung bereit. Mein Nacken und meine Schultern sind mit vielen juckenden Quaddeln überseht. Sie gleichen nicht denen, die Mückenstiche hinterlassen, eher denen von Flöhen. Das Rätsel kann ich erst am Abend lösen. In Asien hätte diese Erkenntnis keinerlei Staunen ausgelöst, hier bin ich leicht irritiert. Die juckenden Punkte sind Bisse von Bettwanzen. In jeder Ritze, in jedem Löchlein in der Wand hat sich eine der Blut saugenden Mitbewohner versteckt. Rachsüchtig begebe ich mich auf die Jagt. Jede, die ich finden kann, wird aufgespießt. Aufflammende Gedanken an Hinduismus, Buddhismus und Wiedergeburt, die mich in Asien allerorts begleiteten, werden unterdrückt. Systematisch töte ich ein Leben nach dem anderen. Beim Blick auf Mewes, bedrohlich stehe ich über ihm, klappe ich das ,,Schweizer“ zusammen und stecke es zurück in meine Tasche.
,,Denkst du, ich habe sie alle erwischt?“ frage ich hoffnungsvoll.
,,Sicher.“ kommt seine Antwort von unten, und ich weiß genau, das er nur die sinnlose Jagd beenden will.

Tourist – FUCK YOU !

Diesen Willkommensgruß schleudert uns ein Mopedfahrer entgegen. Wir legen die ersten Kilometer auf albanischen Straßen zurück.
,,Sein Wortschatz ist aber nicht sehr umfangreich.“ stellt Mewes fest.
In der ersten Stadt, in Peshkopi, wir sind auf der Suche nach einem ATM um Bargeld der Landeswährung zu ziehen, rast ein Auto auf uns zu. Kurz vor dem Zusammenprall besinnt sich der Fahrer und schießt zurück auf seine Fahrbahn. Die Kumpels im Wageninneren brüllen vor Vergnügen.
,,Sind die komisch oder sind wir es? Ich verstehe diese Art von Humor nicht.“ ich fühle mich, wie vor den Kopf geschlagen.
Ist es das, was die Leute meinten, wenn sie von der Freundlichkeit der Albaner schwärmten? Ich kann es nicht glauben, sie müssen eine andere Region, gar ein anderes Land gemeint haben.
Wir finden eine Bank, erledigen den Transfer und wollen weiter. Auf dem Fußweg entdeckt uns eine Horde Kinder, die johlend hinter uns herlaufen.
,,Tourist! Tourist!“ schreien sie und schieben tatkräftig an den Rädern. Wir verlassen die Stadt. Wir suchen die alte Straße am Drinifluss. Sie soll uns nach Kukes führen.
Einmal, noch vor Muhur, verfahren wir uns. Mewes stoppt an einer Tankstelle, geht hinein und fragt nach dem Weg. Drei junge Burschen wenden ihm den Rücken zu, nur der Alte geht mit ihm zurück auf die Straße und weist freundlich, gestikulierend die Richtung. Aus dem Inneren des Hauses dringt spöttisches Gelächter.
Wir finden die Piste, die einer Römerstraße gleicht,wir finden Muhur und dieser Ort ist so ziemlich der Letzte, den man auf dieser Strecke als solchen bezeichnen kann. Es folgen für die nächsten zwei Tage Bauernhöfe. Viele sind dem Verfall preisgegeben, sie wurden verlassen.
Bis Kukes beschäftigen mich die letzten Begegnungen. Wie ein zäher Schleim überzieht das Erlebte meine Gedanken. Fast nehmen sie mir die Fähigkeit die Schönheiten der Berglandschaft aufzunehmen, mich dafür zu sensibilisieren. Ein Übriges leisten die zahlreichen Bunker am Wegrand. Unweigerlich sickert die Vergangenheit des Landes ebenso in mein Gedächtnis. Ist man deshalb so abweisend und feindselig? Nun ja, ich bin keine Kriegerin, kein Mensch der rauben, morden, zerstören will. Ich glaube auch nicht, dass meine oder Mewes äußere Erscheinung irgendetwas Bedrohliches haben. Schon gar nicht, wenn wir im Schneckentempo über solch eine Holperpiste schleichen. Ich hoffe auf die kommenden Tage, auf kommende Pässe. Erfahrungsgemäß hat ein Pass des öfteren nicht nur Täler getrennt, sondern auch Gesinnungen zeigten sich vollkommen verschieden, von einem zum anderen Tal.

Wir kommen nach Kukes. Es ist Mittag, Zeit die Energiespeicher aufzufüllen. Das erste Cafe serviert keine Mahlzeiten. Freundlich schickt man uns zum Nachbarn. Der wiederum trennt sich ungern von seiner Zeitung, geht dann trotzdem in die Küche und kommt mit zwei herrlichen Salaten und frischem Brot wieder heraus. Sie schmecken wie aus Mutters Garten. Sommerfrisch, lecker.

Bevor wir die Stadt verlassen, müssen wir noch einige Lebensmittel einkaufen. Wir parken die Räder direkt vor einem Supermarkt. Mewes geht hinein, ich warte sitzend auf einem Treppenabsatz. Irgendetwas nähert sich von hinten. Ich höre ein KLACK, KLACK, KLACK….Als ich schon zur Seite rutschen will, weil ich eine Person mit Krückstöcken vermute, tritt ein kleiner Junge in mein Sehfeld. Er richtet ein Spielzeuggewehr auf mich und seine imaginären Kugeln durchsieben meinen Körper. Er unterbricht für einen Moment die Ballerrei, Er nimmt die Hand vom Abzug um sie mir bettelnd entgegen zu strecken. Sein Blick bleibt finster.
Meine Verblüfftheit gestattet nur ein gezischtes: ,,Verpiss dich!“
Er geht natürlich nicht. Er schießt wieder. Als er nach den Fahrrädern greift, meinen Helm vom Lenker nehmen will, hab ich genug…. Ich springe hoch, alles in mir signalisiert – ich werde dir jetzt kräftig in den Hintern treten. Es ist mir gleich, ob dies pädagogisch oder gesetzlich korrekt ist. Mein ,,Kettenrasseln“ ist erfolgreich. Er ergreift die Flucht.
Ich sitze wieder auf dem Treppenabsatz, als Mewes aus dem Laden kommt. Ein breites Grinsen auf dem Gesicht plappert er über seinen Einkauf: ,,Wir spinnen uns was zusammen…, die sind keine Fremdenhasser…, ich habe mich eben ganz prima unterhalten….“
,,Ich bin gerade von einem Kind erschossen worden!“ sage ich trocken.

In Puke, wir haben soeben die Räder beladen, spricht uns ein Paar aus der Schweiz an. Wir kommen ins plaudern. Der Mann bezeichnet die Nordalbaner in netter schweizer Art als ,,…etwas distanziert…“. So kann man das Ganze also auch sehen?! Uns macht das Erlebte etwas nervös. Das können nicht einmal die alpinen Berge und tiefen Schluchten ausgleichen. Es treibt uns an die Küste, nach Montenegro.

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