Unvergessen – Kambodscha aus einer anderen Zeit

Unvergessen – Kambodscha aus einer anderen Zeit

Ob man will oder nicht, die Vergangenheit ist gegenwärtig. Irgendwann ist man bereit, sich damit auseinander zu setzen. Fast ist es ein Zwang. Zu viele Fragen stolpern im Kopf übereinander.

Das erste Schlagwort – die Roten Khmer – frisst sich wie eine Säure immer tiefer und damit die Fragen nach dem: Wer ist das? Was haben sie mit Kambodscha zu tun?…
Google und Wiki wissen die ersten Antworten, Mitreisende die nächsten und ist dann der Mut nicht verflogen, gibt man sich den ,,Gnadenstoß“ mit dem Lesen von Biografien.
Fassungslos, jedoch nicht zum ersten mal, muss man feststellen, das der Mensch, der intelligenteste ,,Lehmklumpen“dieser Erde, total wahnsinnig ist und wie leicht es für ihn ist, diesen Wahnsinn aus zu leben. Ist der Nährboden erst einmal gefunden, geht der Samen des Horrors schnell auf und die wuchernden Pflanzen drohen alles andere zu ersticken.

Kambodscha befand sich in den siebziger Jahren im Bürgerkrieg. Aus diesem gingen die ,,Roten Khmer“ als Sieger hervor. Ihre Vision war, blühende Landschaften, Wohlstand und Reichtum durch Bauernhand neu entstehen zu lassen.
Hierzu brauchten sie keine Ärzte, Lehrer, Künstler oder andere Intellektuelle. Man sagte der Intelligenz den Kampf an. Wer für die harte Landarbeit nicht taugte wurde beseitigt. Und die Art der Beseitigung entsprang der Quelle einer krankhaft perversen Phantasie. Viele starben unter der Folter, viele verhungerten oder wurden durch Entkräftung und Krankheiten dahin gerafft.
Sehr gründlich begann die Umerziehung oder Vernichtung der Leute, die allein schon durch das Tragen einer Brille auffielen.
Es steht geschrieben, das dieser Terrorherrschaft ca. 2 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Das ist nahezu ein drittel der damaligen gesamten Landesbevölkerung.
Viele Tempelanlagen wurden zerstört und noch immer liegen Landminen im Boden.

Zeitreise am Mekong

Unser erster Eindruck von Kambodscha bezieht sich auf rein optische Dinge wie das Brennen des Buschlandes neben der Straße, das nicht mehr Vorhandenseins des Regenwaldes… das auffallend junge Alter der Menschen.

In der ersten Unterkunft, sie ist gleichzeitig Ausbildungsstätte für Hotelfachkräfte, werden wir behandelt wie Könige. Wir müssen uns beeilen dem Tatendrang des angehenden Hotelservicepersonals zuvor zu kommen. Nicht gewöhnt an ein bedient werden, grapschen wir nach den Taschen.Die Schüler sind schneller. Sie sind froh über unsere Anwesenheit. Endlich haben sie Gelegenheit, ihr erlerntes Wissen,das mehr als Englischkenntnisse, Zimmerservice und Kochen beinhaltet, am lebenden Objekt zu testen. Wir haben viel Spaß miteinander. Wir baden in ihrer Freundlichkeit und genießen das außerordentlich gemütliche Heim.

Von PAKSE fahren wir die alte Piste direkt am Mekong entlang. Schon nach wenigen Kilometern hat eine Schicht aus Sand und Schweiß unser Aussehen sich dem der Bewohner an der Straße angepasst. Oft erst im letzten Moment ist das Ochsenfuhrwerk im aufgewirbelten Staub wahrzunehmen. Wir fühlen uns um Jahrhunderte zurück versetzt und doch halten uns entgegenkommende moderne Pickups im hier und jetzt gefangen.
Immer wieder rollen wir an buddhistischen Tempeln, Moscheen oder Kirchen vorbei. Friedlich lebt man Seite an Seite auf engstem Raum. Das Miteinander ist so nah, das wir nicht einmal am Abend einen Platz zum zelten finden. Wir fragen in einem der Tempel nach einem Schlafplatz.
Die Mönche sind jung, wissensdurstig und gastfreundlich. Wir bleiben.
Unsere Anwesenheit hat sich schnell herumgesprochen. Zu den zwanzig Kindern gesellen sich Erwachsene. Alle beobachten gespannt unsere Geschäftigkeit. Die Zelte, Fahrräder, Kocher und Töpfe werden inspiziert. Das große Staunen kriegen sie aber als Mewes vor dem Waschen das T- Shirt über den Kopf zieht, ein blendend weißer Bauch zum Vorschein kommt und die Kalkfarbe sich nicht mit den Fingern weg rubbeln lässt.
Die Verständigung ist in Englisch möglich. Einer der jungen Mönche und ein zehnjähriges Mädchen spielen den Übersetzer für alle. Von ihnen lassen wir uns das kambodschanische Alphabet in den Sand malen. Das Schriftbild ist vielleicht gut einzuprägen, aber die Aussprache mit ihrem Singsang scheint uns unmöglich erlernbar. Jedenfalls nicht an diesem Abend, auch wenn die Kinder noch so eifrig mit uns üben.
Wir haben gut gekocht. Einige der Kleinen lassen sich zum kosten des Phantasie – Pasta – Gerichts verführen, finden allerdings keinen Geschmack an unserem Essen. Letztendlich zeigt sich einer der herumliegenden Hunde bereit die übrig gebliebenen Reste zu verspeisen.
Es wird dunkel und das heißt – Schlafenszeit. Alle ziehen sich zurück und bis auf Gebetsgesang, das Bellen der Hunde und Schnattern der Gänse kehrt Ruhe im Tempel ein.

Fledermauswolken

SIEM REAP knallt mit voller Wucht in unsere Köpfe. Der Verkehrslärm und der Verkehr selbst sind nach langer Schonzeit fast zu viel für die Sinnesorgane. Die Augen müssen allgegenwärtigen Dienst leisten. Mopedtaxis kommen aus jeder Richtung. Es würde uns nicht im geringsten wundern, würden sie auch noch vom Himmel fallen. Sie suchen Durchbruchstellen wo keine sind. Selbst ihr lautstarkes Protest – oder Ich Bin Da – Hupen kann die Situation nicht zu ihren Gunsten verändern.
Wir wähnen uns im Stadtzentrum und halten Ausschau nach einer Unterkunft. Plötzlich steht der soeben überholte Radfahrer neben uns. Wir kommen ins Gespräch. Er ist Australier, lebt aber wie unser Begleiter Enrico in Italien. Die beiden haben sogleich eine gemeinsame Basis. Beide sind, wenn sie nicht reisen, der Gärtnerei zu Diensten.
Der freundliche Herr bringt uns über eine Brücke in einen älteren Stadtteil. Der Fluss wirkt wie eine schalldichte Wand. Als hätte jemand eine Tür zugeschlagen. Ruhe kehrt ein. Nun lässt es sich aushalten.

Hat man Zeit, so wie im Urlaub, besinnt man sich gern auf romantische Dinge. Ein Sonnenuntergang kommt genau richtig. Die einen nutzen die Sehnsucht danach kommerziell, die anderen verlassen sich auf ihren eigenen Spürsinn und suchen nach einem schönen Ausguck.
Zwei Stunden vor dem Abtauchen des Feuerballs machen wir uns auf den Weg zu einem entlegenen Tempel. Am Fuß einer Treppe ketten wir die Räder an. Wir versuchen es zumindest. Vier total ausgeflippte Kinder klettern affengleich auf die Gepäckträger. Einzeln müssen wir sie wieder auf den Erdboden stellen. Doch schon bald hängen sie sich an Mewes und wollen herum gewirbelt werden.
,,Oh Mann, da ist ja gar nichts dran. Ich muss aufpassen das sie mir nicht davon fliegen.“ sagt er lachend.
Die Bande stürmt bis zur halben Höhe der Treppe neben uns her. Dann besinnen sie sich auf ihr eigentliches Vorhaben. Darauf, das Mama wartet, um ihnen den Dreck ab zu spülen.
Wir setzen unseren nicht enden wollenden Aufstieg fort. Die Sonne geht immer tiefer. Der Weg führt durch ein bewohntes Kloster, erst dann wird der Blick frei zur alten Tempelruine. Beim näher treten sehen wir, welch merkwürdiger Anblick, vor einem der Steinhaufen einen fast nackten Mann posieren. Immer wieder nimmt er die Arme vor den muskulösen Oberkörper und täuscht einen Angriff vor. Sein Gegner ist reine Luft, sein eigener Schatten. Wir treten noch näher heran und entdecken die Ursache seines herum hampelns. Ein Fotograf steht hinter einem aufgebauten Stativ und nutzt das schmeichelnde Abendlicht für einige Aufnahmen.
Auch ich möchte die letzten Strahlen nutzen und schieße meine Bilder. Für den Sonnenuntergang bleibt mir keine Zeit. Aus dem Augenwinkel stelle ich fest, dass er heute weniger spektakulär ist als an manch anderen Tagen. Es dunkelt. Aus dem Inneren der Ruine dringen die anschwellenden Pfeifgeräusche tausender Fledermäuse. Einer der Wachmänner gibt uns zu verstehen, das nun nichts mehr zu sehen ist und wir doch bitte das Gelände verlassen sollen.
Wir daraufhin: ,,Nein, wir warten auf die Flugshow. Das geht gleich los.“
Das weiß er natürlich auch. Deshalb sind er und sein Kollege ebenfalls auf der Lauer. Sie haben riesige Netze bereitgelegt.
Es geht los. Eine dunkle Wolke steigt aus dem Tempel. Ein Schwirren und Flirren saust um unsere Köpfe. Die Männer stehen an den Fluglöchern und halten die Netze davor. Sind genug Tiere hineingeraten, werden sie aus der Falle geklaubt und in einen Sack gesteckt. Das ist kein leichtes Unterfangen. Die Fledermäuse beißen. Ich erinnere mich, irgendwann einmal gelesen zu haben, dass diese Tierchen Tollwutüberträger sein können. Wir halten gebührenden Abstand. Dennoch kann ich es mir nicht verkneifen die Szenerie zu fotografieren.
Die Gefangenen, es sind circa zwei Kilogramm, wird man vielleicht noch an diesem Abend verkaufen oder selber grillen.

Die Tempel von Siem Reap

Das beste Verkehrsmittel, um zu den Tempeln zu gelangen und sich ebenso unabhängig in der Anlage bewegen zu können, ist das eigene Fahrrad. So kann man dem Kommerz entkommen. Natürlich kann man sich ebenso gut darauf einlassen, mit einem Tucktuck hinfahren und den weiteren Weg auf dem Rücken eines Elefanten beschreiten. Die Tempel selbst muss man allerding zu Fuß erkunden. Aber keine Angst, unter der Obhut eines Touristenführers kann nun wirklich nichts schiefgehen. Er gibt sogar freundlicherweise sehenswerte Fotopunkte bekannt, sowie Anregungen und Tipps zur Bildgestaltung. Jedem noch so Unkreativen gelingen nun Postkartenmotive. Alle sind happy.

Vergessen wir mal den ganzen Firlefanz.
Um den ersten Tempel – Ankorwat fahren wir einen Bogen. Hier ist der Ansturm am größten. Unser Augenmerk gilt zunächst einem anderen, dem mit den lächelnden Gesichtern. Zwar sind auch hier viele Besucher unterwegs, doch übt man sich in Geduld und wartet die Intervalle des Stromes ab, gelingen erstaunlich menschenleere Fotos. Sie wirken fast einsam. Gut das die Riesenköpfe dieses durch ihre warme Ausstrahlung kompensieren.
Lange haben wir uns mit der Gesellschaft der Steinköpfe umgeben.
Wir sind durstig und steuern eines der zahlreichen Restaurants an. Schon bald kommt ein 14 jähriges Mädchen hinzu und bietet Touristennepp zum Verkauf. Wie immer wendet sie sich zuerst an Enrico. Er ist Italiener und ihnen ist Schönheit und Charme in die Wiege gelegt. Das zieht selbst bei den ganz kleinen.
Sie fragt: ,,Wenn ich dir alle Hauptstädte und Präsidenten, egal von welchem Land, nennen kann, kaufst du dann ein paar Sachen von mir?“
Enrico: ,, O.k.! Erster Test! Italien….“
Enrico hat viele Fragen. Sie weiß alles richtig zu beantworten. Es ist amüsant einmal den Schullehrer zu mimen.
Irgendwann, Tage später, werden wir feststellen, dass selbst diese Art des Handels nur eine andere Methode ist, um Aufmerksamkeit zu erlangen und ein Geschäft abzuwickeln. Alle Kinder bedienen sich dieser oder einer ähnlichen Vorgehensweise. Immerhin lässt sich eine gewisse Kleverness nicht leugnen.

Auf dem Weg zum nächsten Objekt treffen wir erneut auf den Australier. Er beschreibt uns eine Anlage, die weniger besucht ist und dadurch ihren Zauber voll entfalten kann.
Und es ist wirklich so. Die Händler,die mit breitem Lächeln und aller Freundlichkeit nach unserem Geld hecheln, bleiben außen vor. Mit der Stille, die uns umgibt, haben wir erst die Möglichkeit die Schönheit der Details aufzusaugen. Wir lassen uns Zeit bis wir zu meinem auserkorenen Highlight fahren.
Ein Bild hat sich in meinen Kopf gebrannt. Indiana Jones durchschreitet ein steinernes Tor, das unter den klammernden Baumwurzeln zermalmt zu werden droht. Der Anblick ist so surreal wie ein Gemälde von Dali. Die Werbeszene machte mich weniger neugierig auf den Film, vielmehr steigerte sie meinen Wissensdurst auf diesen Tempel im Urwald. Nun ja, der Tempel ist noch da, der Urwald nicht mehr, bis auf einige Riesen, die diesen vorgaukeln sollen. Dennoch, diejenigen, die Natur, speziell diesen Wurzelwuchs, nie so massiv und gewaltig erlebten, werden sich von der Faszination und einem kindlichen Staunen erst am Ausgang wieder befreien können.
Die Gebäude sind verschachtelt, durch Gänge verbunden und über verschiedene Ebenen zu erreichen. Man gelangt von einen Hof über Treppen in den nächsten. Das ganze ist von Wald überwachsen. Die in Stein gehauenen Reliefs gleichen auseinander driftenden Schollen. Selbst die Quader der Gebäude sind nicht verfugt und geben dem drängen der Pflanzen nach. Alles ist verschoben, eingestürzt oder muss gestützt werden. Die Wurzeln die sich Halt suchend um die Gebäude winden sind nicht einfach nur Wurzeln… man wird das Gefühl nicht los, nur ein Zwerg zu sein und das ganze scheint in Bewegung. Natürlich bewegt sich nichts wirklich in einer sichtbaren Geschwindigkeit, aber…es fällt leicht, es sich vorzustellen.
Wir haben so großen Gefallen an dieser Spielwiese gefunden, dass wir gar nicht bemerken wie die Zeit vergeht. Diese fehlt uns am Ende des Tages für den größten der Tempel – für Ankorwat. Wir haben nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, im Gegenteil, wir fühlen uns sehr gesättigt und zufrieden.

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