Huckepack – warum nicht?

Huckepack – warum nicht?

Die Tage schießen dahin wie eine Lawine, reißend schnell. War ich eben noch voller Vorfreude auf das Hostel ,,Sims Cozy Garden“ in CHENGDU, gehört auch dieser Besuch der Vergangenheit an. Bereits verblassende Erinnerung sind die Stunden mit anderen Radfahrern, die Abende in der Bar – gemessen an deutschen Normen – mit Dünnbier, die besten Burger der Stadt, der all morgendliche Eierkuchen und das Früchtemüsli, das, neben der ansonsten unschlagbar guten lokalen Küche, doch das willkommenere Frühstück ist.

Mal wieder sitzt die Zeit im Nacken. Eine Woche bis LIJIANG – dort muss das Visa um weitere dreißig Tage verlängert werden.

Der Nebel hängt tief in den Bäumen. Fast geisterhaft umhüllt er die Wipfel. Zeitweise ist er so geballt, das er tröpfelnd die Kleider durchnässt.
Obwohl wir seit zwei Tagen über die Höhenlinien der Ausläufer des Himalaja kurbeln, kann man die gesamte Ebene von CHENGDU nicht erblicken.
In steile Hänge haben hunderte fleißige Hände eine Straße gegraben. Sie zeigt stellenweise ihre, den Naturgewalten zum Opfer gefallene rissige,zerbröselnde Decke. In den Senken und Schlaglöchern sammelt sich schlammiges Wasser. Im nu ist die Ausrüstung mit einer Lehmkruste überzogen. Mewes zieht ein säuerliches Gesicht. Das sind nicht die Bedingungen, die er beim Radfahren bevorzugt. Nasser Dreck und kalter Regen. Aber er ist ja ein Mann und da wird nicht gejammert…. wo es jemand hören könnte.
Wir stoppen vor einer Brücke und lassen den Gegenverkehr passieren. Hinter uns bremst ein Lastwagen. Durch Handzeichen gibt Mewes zu verstehen, dass wir mitfahren möchten. Und eh ich fähig bin, der veränderten Situation meine Zustimmung oder Ablehnung (erwachter Sportsgeist und so…) entgegen zu bringen, ist alles aufgeladen. Vom Beifahrersitz ist die Aussicht in die Nebelschwaden sehr viel entspannter. Zufrieden, mit einem Grinsen im Gesicht lümmelt meine ,,Zuckerpuppe“ im Polster.

Ist es nun wegen uns oder weil unser Käpt’n immer genau diesen Stil fährt? Er ist kein Rambo und kein risikofreudiger Formel 1- Pilot. Seine Überholmanöver treiben nicht den Schweiß aus allen Poren, zu Angstschreien oder reflexartigem Zucken des rechten Fußes. Behutsam steuert er sein ,,Schiff“.
Es muss an den erschreckend vielen Autowracks am Straßenrand liegen. Auf geschätzten 150 Kilometern sehen wir die Überbleibsel von vier Unfällen!
Ein Lkw, hängend über einem 20 Meter tiefen Abgrund, zwingt uns eine mehrstündige Fahrtunterbrechung auf. Zwei Kräne heben ihn wieder auf die Piste. Kaum haben alle Räder Bodenkontakt, setzt er die Fahrt fort.
,,Hmh, na die Bremsen wird er im Steilhang bald testen müssen…“ stelle ich fest.
Nicht weiter an eventuelle Schwierigkeiten des Stauverursachers denkend, sehen wir die eigenen vor und neben uns. Alle, wirklich alle Fahrzeuge setzen sich gleichzeitig in Bewegung. Schon bald steht man sich hupend gegenüber. Unweigerlich muss ich an eine Fabel aus meiner Kindheit denken.
…Zwei Ziegen begegnen sich auf einer Brücke, die so schmal ist, dass die beiden nicht aneinander vorbei gehen können. Lange diskutieren sie miteinander, wer wohl der anderen Platz machen soll. Am Ende der Geschichte stürzen beide rangelnd in die Fluten.
…und an die anschließende Fragestellung meiner Lehrerin: ,, Was lernen wir daraus?“
In unserem Fall scheint es weder Einsicht, Voraussicht, Rücksicht oder was auch immer für eine Sicht zu geben. Der Eindruck wird erweckt, das niemand Verkehrsregeln kennt, niemand sie anwendet – nicht einmal die Polizei, die in Gelassenheit verharrend das Chaos beobachtet. Immer noch hupend wird hin und her rangiert. Tut sich eine Lücke auf, die ein entwirren des Autokneuels erahnen lässt, schiebt ein Depp seine Karre rein. ER steht nun zwei Meter weiter vorn.
,, Interessant!“der Kommentar von Mewes. ,, Sieht aus, als wollten die Hennen alle auf einmal durch das Loch in den Stall.“
,,Nur das hier kein Habicht über uns kreist.“ meine Feststellung, nach einem kurzen Blick zum Himmel.
Irgendwann kommt die Kolonne wieder ins rollen. Die Fahrt kann fortgesetzt werden. Sie geht über Pässe, durch Täler, über Brücken und mehrfach unterqueren wir die sich noch im Bau befindende Autobahn. Taucht sie aus dem Nebel auf, kriegen wir die Mäuler kaum mehr zu. Die gesamte Konstruktion wird von Säulen getragen. Sie scheint zu schweben. Total verrückt ist dieser Anblick!

Es dämmert bereits. Wir sind hungrig. Der Fahrer kennt ein gutes Restaurant.
Man kann sich in China auch als Tourist, der unwissentlich oft etwas mehr zahlt, recht kostengünstig ernähren. Unser Trucker weiß es noch besser. Reis, Tofu und eine scharfe Soße kosten zusammen nicht mehr als ein Euro und der Tee, den man literweise in sich hinein schütten kann, kostet nichts. Wir probieren seine Auswahl , bestellen mehr Gemüse und Huhn, weil wir uns für die Mitfahrt bedanken möchten. Einen Geldbetrag lehnt er beharrlich ab.
Eine Stunde später sind wir am Zielort. In den Arbeiterunterkünften einer Elektrofirma dürfen wir übernachten. Gut bewacht von einem dicken Schäferhund, dem man es nicht abgewöhnen konnte, alle Besucher hinterrücks in den Hosenboden zu kneifen. Beim Gang über den Hof behalte ich ihn immer im Auge. Frontalangriff mit energischem Rücken kraulen lenkt ihn von seinem Vorhaben ab.

Dali – nicht der Maler, aber malerisch gelegen

Dalis Altstadt ist umgeben von einer Mauer. Innerhalb dieser Mauer gibt es einen Mix aus Touristik – und Historiktown, die vom alten China noch ein wenig erzählen kann. All zu viele dieser Art haben wir auf unserem Weg nicht entdeckt. Man bevorzugt den Neubau moderner, gewagter, im Erscheinungsbild imposant, riesiger Projekte. Für uns Reisende, die die Architektur verflossener Jahre nur aus den Geschichtsbüchern kennen, sind solche Orte ,,Forschungsobjekte“ und hübsche Fotomotive.
Für die alten Weiber sind die Touris, speziell junge Backpacker, Radreisende und vergessene Althippies willkommene Kundschaft. In ihren bunten Trachten, mit einem mütterlichen Lächeln auf den Lippen spazieren sie durch die Gassen. Ihnen entgeht kein Fremder. Ganz leise fragt eine: ,, Möchtest du Ganja rauchen?“ Einen kurzen Moment glauben wir uns verhört zu haben. Doch sie flüstert noch einmal: ,, Do you want smoke Ganja ?“ Die Gegenfrage was eigentlich Ganja ist, erübrigt sich. Zu leise und geheimnisvoll wird die Wahre angeboten. Nein, wollen wir nicht! Gerade kommt uns ein Langhaariger mit geröteten, starren großen Augen entgegen. Er wirkt nicht anwesend.
Auch die vor wenigen Minuten im vorbei gehen erfasste Szene macht nicht neugierig. Zwei Männer sitzen in einem Laden. Einer zieht gerade sein Gesicht aus einem Bambusrohr dem eine dicke Rauchwolke entweicht und gibt den Kommentar ab:“ Hoh,oh hoh…. good stuff!“

Man hat uns gewarnt. Wir sind trotzdem in dieses Zimmer eingezogen. Lieber ein Bett über den Boxen einer Nachtbar als ein nach Feuchtigkeit und Schimmel riechender Raum.
Nun finde ich keinen Schlaf. Meine Konzentrationsfähigkeit ist unzureichend. Von den drei vorhandenen Angeboten – grauenhaft schlechte Livemusik – die Filmmusik von Titanic – U2 aus den eigenen Ohrstöpseln – die angenehmste heraus zu filtern ist nicht mögllich. Da hilft nur noch Bier! Dieses ist entweder unten an der Rezeption oder gegenüber in der Bar zu bekommen. In beiden Fällen muss ich aufstehen und das wird Mewes, der fest schläft, aufwecken. Dieses Phänomen ist mir immer wieder ein Rätsel. Da könnten Düsenjets über ihn hinweg donnern und er kann weiter schnarchen, aber verursacht die kleinste Bewegung meinerseit nur einen Luftzug, dann ist er hellwach und beklagt sich:“ Du sollst mich nicht immer so erschrecken!“
Es gibt keine befriedigende Lösung. Wieder geht die Titanic unter und während des Nachdenkens versinke auch ich – in meine Träume.

Richtig oder Falsch?

Seit langer Zeit treffen wir wieder auf einen Radfahrer. Die Freude ist beiderseitig. Er schildert uns seine kürzlich erlebten Abenteuer mit der Empfehlung, wenn wir nicht ähnliche Erfahrungen machen möchten, einen anderen Weg zu nehmen.
Während wir die vergangenen Regentage in einem kleinen Zimmer am Straßenrand aus gesessen hatten, steckte er mittendrin – im Regen.
Man hat die Straße, auf der er unterwegs war, in eine Baustelle verwandelt, die sich über einhundert Kilometer erstreckt. Durch Sprengungen und massive Erdarbeiten wird sie immer wieder für viele Stunden gesperrt. Der Dauerregen erschwerte nicht nur das Vorankommen, sondern machte dieses geradezu unmöglich. Nichts drehte sich mehr. Alles was Räder hatte blieb im Schlamm stecken. Mit kleineren, einem Traktor ähnelnden Fahrzeugen hat man schließlich die Frachten der LKW geborgen. Der Schweizer wurde mit Packtaschen, Fahrrad und Schweinen verladen.
Er erzählt: ,, Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich ausgesehen habe. Der Gestank war grauenhaft…. ich glaub, den hab ich immer noch an den Taschen. Aber ich war so froh auf dem Schweinetransporter zu sitzen. Ich sah eh aus wie’ne Sau.“…

Viele Kilometer später:
Ich werde den Gedanken nicht los, das wir uns genau in dem Streckenabschnitt befinden, den wir nicht befahren wollten. Weit und breit Baustelle. Schon mehr als zwanzig Kilometer. Oder sollte es sein, dass man beide Straßen gleichzeitig sprengt, Brücken neu errichtet und planiert? Mal wieder eine Überraschung chinesischer Art?
In einem kleinen Ort finden wir eher zufällig eine Unterkunft. Schon nach einem Campspot am Straßenrand suchend, stoppen wir vor einem kleinen Laden um Wasser für eine Nudelmahlzeit zu kaufen. Nebenbei fragen wir nach einem Schlafplatz und man weist uns den Weg zum Hotel. Wir sind total verblüfft. Hier, der Ort hat nichts, was einen Fremden zum längeren Verweilen locken könnte, soll es ein Hotel geben? Tatsächlich tragen wir nach einer halben Stunde unsere Sachen in ein sauberes, spartanisch eingerichtetes Zimmer, haben eine Schüssel heiße Nudelsuppe zwischen den Knien und ein Bier neben uns stehen. Wenn das kein Grund zum bleiben ist.

Steil führt das, was von der Straße übrig ist zum MEKONG. Auf der Brücke machen wir halt und genießen den Blick in den Fluss, der träge in seinem Felsbett unter uns hindurch fließt. Das dritte mal ist es, das wir ihn überqueren. Wir wissen genau wie die Weiterfahrt sein wird. Noch ein bisschen wollen wir verschnaufen. Dann wird der Seniorengang eingelegt und schneckenhaft langsam bewegen wir uns weiter. Schwer wie eine Eisenkugel am Gelenk des Sklaven zieht das eigene Gewicht den physikalischen Gesetzen folgend nach unten. Der vom Morgennebel noch feuchte Boden bietet zusätzlichen Rollwiderstand. Es ist ein Kampf, dem man nur mit hartnäckiger, sturer, stampfender, konstanter Muskelanstrengung begegnen kann. Und dann wird hoffentlich der gleichmäßige Rhythmus zur Meditation, die alle Schmerzen vergessen macht.

Wir genießen die Abenddämmerung, das musizieren der Grillen, die letzten warmen Strahlen der untergehenden Sonne. In die Täler zieht langsam der Nebel und hüllt die Dörfer in Schweigen. Müde schlendern die Bauern mit ihren Wasserbüffeln nach getaner Feldarbeit heim. Müde schauen wir ihnen nach. Trotzdem zufrieden mit unserem Tagewerk, mit unserem idyllischem Zeltplatz auf dem Pass. Morgen, ja morgen werden wir hoffentlich, endlich wieder auf Asphalt rollen.

Nahezu drei Monate durchstreiften wir das ,,Land des Lächelns“. Nur einen Bruchteil von dem, was es zu entdecken gibt, haben wir gesehen. Zu groß sind die Distanzen, zu schnell kam der Winter, der den gesamten nördlichen Teil in einen Kältemantel hüllt. Die Landschaften die wir bereisten, die Völker die wir besuchten, die Nahrung, die Farben, die Gerüche und die Musik sind so unterschiedlich und abwechslungsreich, als hätten wir nicht nur ein Land, sondern viele durchreist.
China zeigt sich überraschend anders, anders als wir es gehört, gelesen oder in den Köpfen zurecht gesponnen haben – sehr angenehm.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert