AC, YAC ! – Tschass, Tschass!

AC, YAC ! – Tschass, Tschass!

Der PAMIR spuckt uns über eine schneematschige Abfahrt aus, direkt nach KIRGISTAN. Nun liegt die gesamte Bergkette hinter uns und ich kann mich kaum satt sehen an ihrer weißen Pracht. Orangefarbenes Abendlicht streicht über die Gipfel, über gelb leuchtendes Gras, über den Fluss, der sanft in seinem ausschweifenden Bett dahin dümpelt. Die im Sommer hier stehenden Jurten müssen vor wenigen Tagen abgebaut worden sein. Ihre runden Abdrücke sind noch auf dem Boden zu sehen.

Die gesamte Umgebung ist so einladend, das wir uns entschließen, an Ort und Stelle zu campen.

Am Morgen fahren wir 20 Kilometer bis SARI TASH. Wir sind auf der Suche nach einem bestimmten Homestay, welches uns empfohlen wurde. Viele Straßen und Gassen gibt es nicht. Das Problem ist, sie sind namenlos und somit gibt es keinen Anhaltspunkt um effektiv vorgehen zu können. Auf die Frage: ,,Wo steht das Haus von…?“ weisen die Leute eine ungefähre Richtung. Wir kommen dem Ziel beständig näher. Ein kleines Mädchen bringt uns letztendlich direkt vor die Tür.

Der Herr des Hauses zeigt den Schlafraum, der komplett mit Teppich ausgelegt und behangen ist. Ein kleiner Elektroofen wird sogleich in Betrieb genommen. Seine Frau richtet die Betten auf dem Fußboden her. Das Nebenzimmer ist der Essbereich. Hier gibt es einen Tisch,dessen Höhe keine 40 cm überschreitet und ein kleines Schränkchen, in dem sich weitere Decken und Kissen befinden. Alle zu verrichtenden Arbeiten werden auf den Knien hockend erledigt. Dies ist ganz praktisch. Nach dem Essen eines ,,Bloff“, so wird ein Berg aus Reis, Gemüse und meist Hammelfleisch bezeichnet, braucht man nur nach hinten umfallen und kann die schwere Mahlzeit verdauen. Hammelfleisch gilt als besonders schmackhaft, wenn Fett und Knorpel überwiegen. Für mich ist der Verzehr gewöhnungsbedürftig, für Mewes unmöglich.

Das ,,Badezimmer“ ist vor der Haustür. Als solches wird ein Schrank mit Spiegel bezeichnet, an dessen Rückseite ein Wasserbehälter angebracht ist, darunter ein Waschbecken und unter diesem ein Eimer, der das Schmutzwasser wieder auffängt. Eine gut funktionierende Technik, so lange bis der erste Frost kommt. Die Sache hat noch einen Haken, sie ist öffentlich. Jede Ganzkörperwäsche wird zu einem Bühnenauftritt. Um derartigen peinlichen Situation aus dem Weg zu gehen, beschränken wir uns auf die Reinigung von Kopf, Händen und Füßen.

Nach dem häuslichen Niederlassen wollen wir einen Erkundungsgang im Ort machen. In einem der Nebenräume spielen Kinder, die uns neugierig beobachten. Wir verlassen den Hof. Mewes hat ein ungutes Gefühl bezüglich des nicht verschließbaren Raumes und des darin befindlichen Gepäcks. Er geht zurück – und tatsächlich steht einer der Jungen zwischen unseren Sachen. Am Ohr haltend führt er ihn hinaus zur Mutter. Sie und die anwesende, feiernde Weibergesellschaft finden das sehr lustig. Wir können darüber nicht lachen. Die Geschichte eines Reisenden, der in einem Homestay bestohlen wurde und die Familie dies als Kinderstreich abwiegelte, schießt in unsere Köpfe. Um Wiederholung vorzubeugen, sehen wir uns genötigt, das Vorhängeschloss aus den Taschen zu kramen und die Haustür zu sichern.

SARI TASH sieht ein bisschen schlampig aus. Die Umzäunungen der Höfe sind aus dem geschmiedet, was gerade greifbar war. Es wirkt nicht einmal wie Kunst,die bekanntlich ebenso chaotisch aussehen kann. Nichts passt Augen schmeichelnd zusammen. Es gibt keine Harmonie. Wichtig ist die Zweckerfüllung, die wohl darin besteht, Unwillkommene auszugrenzen. Alles macht den Eindruck von Kurzlebigkeit. Rostende Fahrzeuge stehen herum – vergessen und doch nicht vergessen. In einem Trailer hocken Kinder, ganz vertieft in ihrem Spiel. Ein paar Kühe streifen ziellos um die Häuser.

Wir finden einen kleinen Laden, in dem wir alle Lebensmittel für die nächsten Tage bekommen, einschließlich Coca Cola.

In einem so genannten ,,Guesthouse“ fragen wir nach anderen Reisenden. Wir hoffen Informationen über den Grenzverkehr nach China zu bekommen. Es ist ungewiss, ob dieser zur Zeit betrieben wird. Wir haben seit langem keine chinesischen LKWs gesehen. In der ersten Oktoberwoche sind Feiertage und Ferien im ,,Land der Mitte“. Niemand weiß etwas Konkretes und niemanden interessiert das Treiben dort.

Wir kommen zurück zu unserem Homestay. Die feiernde Gesellschaft hat die Jurte verlassen und formiert sich vor der Toilette, die sich im Hof befindet. Kinder tollen herum und die kleinsten, die Babys werden mit schmatzenden Küsschen von Mama zu Mama gereicht.

Man fragt: ,,Gde schüwiu tebja? Woher kommt ihr? Wo lebt ihr?“

Mewes antwortet: ,,Nemjetzki. Aus Deutschland.“

Sie: ,,Ah, Faschist.“ Und ein lautes Gelächter setzt ein.

Bamm! Da wurde wieder der Stempel der nicht vergessenen Historie an den Kopf geknallt.

Die Stimmung ist ausgelassen. Angetrunken singen die Frauen fröhliche Lieder.

Wir sitzen beim Abendbrot als die Stubentür aufgestoßen wird und eine junge ,,Dame“ herein torkelt. Plumps – sitzt sie am Tisch und beginnt lallend ein Gespräch, das aber mangels Zungenkontrolle ihrerseits und Sprachkenntnissen unsererseits nicht fließen will. Wir verstehen kein Wort und dennoch ist diese absurde Situation unterhaltsam. Das beschwipste Gegenüber ist so drollig, weil es sich ernsthaft bemüht, Haltung zu bewahren.

Mit Sorgenfalten nehme ich ihr Rülpsen zur Kenntnis und hoffe, dass sie ihren halbverdauten Mageninhalt nicht auf den Teppich speit. Irgendwann – Verabschiedung mit einem dicken Kuss auf eine meiner Wangen, Angeln nach verloren gegangenen Schuhen und – sie ist verschwunden. Stille!

Oh, was für eine Überraschung!

Die Emanzipation ist auch hier soweit vorangeschritten, das eine Frau jeden Kerl unter den Tisch trinken kann. Oder, die russisch angehauchte Vergangenheit hat Spuren hinterlassen – nicht die vorteilhaftesten.

Am folgenden Tag, es ist ein Dienstag, verlassen wir SARI TASH.

Im letzten Ort vor der Grenze nach China wird es Zeit, das restliche kirgisische Geld auszugeben. Zwischen den Häusern, die wie Soldaten aufgereiht und uniformiert aussehen, ist kein Magazin zu finden. Die uns verfolgende Kinderschar kommt gerade recht.

,,Sdrasdi ihr Zwerge! Gde odin Magazin?“

,,Tam,Tam!“ begeistert johlend zeigen sie den Weg.

Brot gibt es keines im Laden und auch kein Trinkwasser, aber Kekse und anderen Süßkram. Jedes der Kinder bekommt ein Bonbon. Es ist ein lustiges Bild: die Kleinen mit dicken Backen, lutschend neben uns her trippelnd. Als wir am Dorfbrunnen Wasser abfüllen, kommt die Tochter der Ladenbesitzerin mit einem Geschenk hinzu. Es ist ein Brot!

Und wieder johlend begleiten uns die Knirpse bis zum Dorfausgang.

Linksseitig,neben der Straße taucht wie ein Schiffsfrack bei Ebbe ein Ghetto auf. Mit jeder Kurbelumdrehung, mit jedem gefahrenen Meter werden Details deutlicher erkennbar. Alte, verbeulte, von der Witterung zerfressene Container stehen wie zufällig geworfene Würfel auf einem Staubplatz. Der Wind spielt mit den Abfällen. Lässt Plastikflaschen, Pappkartons und Küchenreste durch versiffte Gassen wirbeln. Die Würfel entpuppen sich als Marktstände und Wohnstätte. Der Anblick ist so hässlich, dass er schon wieder für das Auge des Fotografen auf perverse Art schön wirkt. Den Blick gebannt, ramme ich beinahe den Schlagbaum. Die Grenze ist geschlossen! Warten! Schei…!

Kein Mensch registriert unsere Anwesenheit. Wir fahren zurück ins Ghetto, in der Hoffnung eine Auskunft zu erhalten. ,,Geht nur, geht, es ist jemand dort in den Baracken.“ sagt eine Frau. Sie meint die Holzhütten hinter der Schranke. Mewes schlüpft hindurch und ist für lange Zeit verschwunden.

Plötzlich kommt er gerannt!

,,Schnell, schnell! Komm! Ich habe sie gefunden! Mal sehen was geht.“

Die Fahrräder lassen sich unproblematisch unterm Schlagbaum hindurch schieben. Die anwesende, in Trainingsanzüge gekleidete Belegschaft sieht sehr nach Freizeit aus. Einer rekelt vor der Glotze, ein anderer ist mit einem Teetopf unterwegs und ein dritter schlendert Richtung Küche. Der Jüngste ist der oberste Offizier. Er erklärt die Situation und bestätigt somit die schlimmsten Befürchtungen. Alles geschlossen bis Sonntag! Heute ist Mittwoch! Wir sitzen fest!

Aber es besteht Hoffnung… In zwei Stunden wird auf chinesischer Seite ein Schichtwechsel sein, dann will er seinen Kollegen anrufen und fragen, ob man für uns ausnahmsweise die Tore öffnet.

Gut, wir warten.

Ich hole die mit Tee gefüllte Thermoflasche aus dem Rucksack und ein paar Snickers. Man bringt uns zwei Stühle, die wir in der Sonne platzieren. Max( ich nenne ihn hier so), der oberste Offizier leistet uns Gesellschaft und so erfahren wir etwas aus seinem jungen Leben.

Er ist verheiratet und hat zwei Kinder, halt das klassische Familienbauwerk. Was ihn ein bisschen traurig stimmt, dennoch gut für die Karriere ist, seine Dienstorte sind nicht gleichzeitig Wohnort. So ist er die längste Zeit getrennt von seinen Lieben und in Osh, Bishkek oder hier an der Grenze tätig.

Zwei Stunden sind vergangen, er geht ins Büro. …. Enttäuscht kommt er zurück. Der Boss von der chinesischen Mannschaft ist noch nicht da, vielleicht in einer Stunde.

,,Tschass! Tschass!“

Wir warten. Die Sonne zieht unbeirrt ihre Bahn. Das ausladende Dach der neu gebauten, aber noch nicht in Betrieb genommenen Grenzstation wirft nun einen langen Schatten auf unsere Tee- Ecke. Wir rutschen auf unseren Stühlen der Wärme hinterher.

Die Flasche ist geleert. Ich wecke meine vom Sitzen steif gewordenen Glieder und stakse zur Küche. Hier hat man heißes Wasser für die nächste Runde.

Eine weitere Stunde verstreicht und verlegen sagt Max: ,,Noch keine Antwort, kein grünes Licht . Tschass. Tschass.“

Wir rutschen mit den Stühlen nun um den geparkten LKW. Die Hände unters Kinn gestützt beobachte ich interessiert eine weggeworfene Zigarettenkippe, die vom Wind getrieben im Halbkreis vor meinen Füßen pendelt. Es kommt ein Insekt hinzu, untersucht die Kippe und krabbelt von dannen. Es ist wohl ein Nichtraucher? Blöde Gedanken! Blöde Warterei!

Es ist nun 16.00 Uhr. Max kommt mit dem Schlüssel für die neue Mannschaftsunterkunft. Das ist ein ganz schlechtes Zeichen. Das bedeutet, wir dürfen erst in vier Tagen nach China wenn die Ferien beendet sind.

Was kann man alles in vier langen Tagen machen?

Osh oder Bishkek mit einem Taxi besuchen? Schlechte Idee – dieses Wochenende sind Wahlen und nach der Stimmenauszählung könnte sich irgendjemand benachteiligt fühlen und wie bereits einige Monate zuvor erneut Unruhen mit Schießereien auslösen. Das wäre nach unserem Geschmack etwas zu viel wilder Osten.

Zurück in den Pamir fällt ebenso aus, weil durch das abgelaufenen Visa keine erneute Einreise möglich ist.

Also widmen wir die Zeit uns, unserem Material, den Grenzern, den Mädels in der Kantine und den Muttis aus dem Ghetto, die uns Kartoffeln, Zwiebeln und anderweitige Leckereien verkaufen.

Wir ziehen, man könnte stolz darauf sein, als erste Nutzer in den Neubau. In das chinesisch, kirgisische Gemeinschaftsprojekt. Man riecht noch den frischen Verputz, die Farbe und das Seifenwasser der ersten Reinigung.

Es gibt eine riesige Kantine, Duschräume und Schlafzimmer. Trotz, das alles noch nicht eingeräumt und wirklich bewohnbar ist, wirkt es komfortabel. Max macht den Luxus perfekt, in dem er Matratzen und Elektroofen in unser Zimmer schleppt.

Am nächsten Morgen gibt es eine freudige Überraschung. Drei weitere Radfahrer tauchen auf. Der eine ist Wolfgang, der von Korok durchs Vakanvalley in Tadschikistan und nicht wie wir den Pamirhighway gefahren ist. Die anderen beiden sind Julie und Sebastian aus Frankreich.

Wir sitzen beim gemeinsamen Frühstück mampfen zufrieden Kekse und trinken Tee. Es gibt viel zu erzählen und auszutauschen.

Ich gehe zur Kantine um heißes Wasser zu holen. Da kommt Max grinsend aus seinem Büro.

,,Ihr könnt jetzt gemeinsam nach China. Aber trinkt ruhig erst den Tee.“

Niemand möchte mehr einen weiteren Tee. Wir haben lang genug damit die Zeit tot geschlagen. Eilig packen alle zusammen. Wir lassen die Pässe stempeln und bekommen von Max letzte ,,Instruktionen“. Nicht anhalten, keine Fotos schießen und zwei Namen, deren Klang gewichtigen Eindruck auf untergebene Torwächter machen und uns zumindest durch den ersten Schlagbaum schnell hindurch schlüpfen lassen.

Was zu diesem schnellen Sinneswandel geführt haben muss, ist die Tatsache, dass das Kirgistan-Visa von Julie und Sebastian noch vor der offiziellen Wiederöffnung der Grenze auslaufen würde. Welch ein Glück für uns alle!

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