Der Höllenschlund

Der Höllenschlund

Einen ersten Eindruck von dem Neuland, das man bereisen möchte, bekommt man schon am Grenzkontrollposten. Der von TADSCHIKISTAN und seinen Staatsdienern ist schnell in einem Satz beschrieben:

,,Zwanzig Dollar auf die Hand und ihr braucht eure Taschen nicht auspacken und ich kann nichts finden, was nicht hineingehören sollte !“

Ein lautes Lachen und: ,, Die Sau will Geld!“ ist daraufhin Mewes Kommentar.
Meistens hilft dumm stellen und ein Wachsen der Sprachbarriere auf die Ausmaße der chinesischen Mauer. In diesem fettleibigen, schweinsäugigen Fall zeigt es keine Wirkung. Mewes lässt 5 Dollar auf den Tisch flattern und diese verschwinden nun mit einem zufrieden Grinsen in der Hosentasche des Uniformierten.
Der Schlagbaum wird geöffnet.

Mit dem Fluss ZERAFSON fahren wir von PANCAKENT bis zum Örtchen gleichen Namens – ZERAFSON. Die asphaltierte Straße befindet sich im Zustand der Auflösung. Bisher war ich der Meinung, das Flussradwege der Entspannung dienen. Die in diesem Land sind anders geartet. Knackig geht es bergauf und bergab. An den steilsten Stücken ist es besonders steinig und sandig. Der Druck auf die Pedale wird nur zu einem geringen Teil in Vortrieb umgewandelt. Mancher, um Bewunderung heischende Sportwagenfahrer, hätte uns um die Steine schleudernden Antriebsräder beneidet. Dennoch gilt auch hier wieder: je lausiger die Piste, desto beeindruckender die Landschaft, je beschissener die Bedingungen, desto nachhaltiger das Erlebte.

Mit Verlassen des Flusses, wir überqueren ihn ein letztes mal, rollen wir auf eine bestens ausgebaute Straße. Das Herz jubeliert in freudigem Rhythmus, der uns auf anstehende Passhöhe (2700 m) trommeln soll.
Es gibt zwei Optionen. Die eine ist die alte Passstraße, bei der man auf schlechtem Belag bzw. keinem Belag rund 500 Höhenmeter mehr und steil klettern muss. Man sagt, das ein Auto für diese Strecke 2 Stunden länger unterwegs ist. Ein Radfahrer sicher 2 Tage.
Die zweite Möglichkeit ist die Fahrt durch einen 5 Kilometer langen Tunnel, dessen Zustand weit entfernt ist von europäischen Normen. Das soll heißen, keine Belüftung und vielleicht eine funktionierende Beleuchtung. Eine Durchfahrt mit dem Fahrrad verlangt eine Mutation der menschlichen Atemorgane oder eine Atemmaske mit Sauerstoffflasche.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Aussage, das in diesem Jahr das Wasser im Tunnel weniger tief ist, unter einem halben Meter, mich tröstet. An die vielen Schlaglöcher will ich noch gar nicht denken. Ich weiß nur, ich möchte nicht in ein überdimensionales Auspuffrohr schlüpfen.
Kommt Zeit, kommt Rat.

Wir setzen uns vor den Tunneleingang und warten. Es dauert keine 10 Minuten und ein LKW stoppt. Schnell sind die Ladeklappen geöffnet und die Räder verschwinden im Inneren des Containers. Oben auf den geladenen Kartoffeln liegen sie Stoß sicher. Wir steigen vorn in die Fahrerkabine des KAMAZ und weiter geht’s.

Was aus der Landkarte nicht zu entnehmen war, offenbart sich nun. Es gibt 2 Tunnel.
Bei der Durchfahrt des ersten denke ich noch: War ja nicht so schlimm. Hätte man doch selber fahren können! Aber dann fahren wir in den zweiten und ich bin froh im Truck zu sitzen.

Der Schlund scheint zu atmen. Blau- schwarz wabert uns eine Dunstwolke entgegen. Eine Lichterkette an der Decke soll den Weg weisen.Wie eine funkelnde Perlenkette zieht sie uns in die Finsternis. Hübsch anzusehen, wenig funktionell, dennoch – magisch gebannt haften die Augen an ihr. Die Tunnelwände und der Boden werden nur schemenhaft vom Scheinwerferlicht des KAMAZ erfasst. Das Gefühl für Geschwindigkeit, Raum und Zeit geht verloren. Die Augen suchen nach Orientierungspunkten, klammern sich an vorbei huschende Lichter, die selten paarweise auftauchen, weil eines defekt ist. Der Fahrer versucht weitestgehend alle Hindernisse zu umfahren, Schlaglöchern, Schutthaufen oder liegen gebliebenen Fahrzeugen auszuweichen. Einige male wird es eng, weil der Gegenverkehr gleiches Bemühen zeigt. Manchmal tauchen im Lichtkegel Personen auf. Sind es die Insassen der havarierten Fahrzeuge oder chinesische Bauarbeiter? Haben sie Superlungen? Sind es Selbstmörder? Oder gibt es doch irgendeine Art von Belüftung? Ich möchte nicht aussteigen, um Antworten zu bekommen. Im Gegenteil, ich wünsche uns schneller ans Tageslicht zurück. Und dann kündigt er sich wirklich an. Erst durch ein kleines, helles etwas, das immer größer wird – der Ausgang. Die Oberwelt hat uns wieder.
Wir bedanken uns bei unserem Lift, laden ab, sortieren alles und nach einem glücklichen Durchschnaufen sind wir bereit für die Abfahrt nach DUSHANBE.
Beim Blick zurück stellen wir fest, der Verkehr im Tunnel stockt. Kein Fahrzeug kommt heraus und diejenigen, die hinein wollen, bilden eine Warteschlange.

Ein komfortables Hotel

Das Hotel Dushanbe in DUSHANBE prunkt im Zentrum der Hauptstadt. Bei einem flüchtigen Blick macht es den Eindruck, als wäre es nicht unsere Kragenweite. Es wirkt teuer.
Als wir es von innen betrachten, blättert die Fassade und die eventuell einst besessenen Sterne stürzen in die Tiefe. Die guten Zeiten liegen weit zurück. Die Räumlichkeiten betteln um Sanierung. Wir wollen keinen Luxus. Und so ziehen wir in ein Zimmer im obersten Stockwerk gelegen, ganz hinten im dunklen Trakt, weit weg von Aufzug und Treppe. Beim öffnen der Tür schlägt uns abgestandene Hitze entgegen. Ich reiße alle Fenster auf. Schöner Ausblick über die Stadt. Nur die getrocknete Kotze am äußeren Fenstersims stört etwas das Wohlbefinden. Wenigstens riecht sie nicht mehr. Der Teppich ist bestückt mit fragwürdigen Flecken. Die Bettwäsche kann als sauber durchgehen. Zumindest hat die andere Kissenseite keine fremden Körperhaare.
Toilette und Dusche befinden sich am Ende des Ganges. Ich habe Glück. Entgegen aller Erwartungen ist das Bad für die Damen nicht im Dauerbeschlag. Ich genieße eine ausschweifend, heiße Dusche. Mewes muss seine Reinigung vertagen. Da ist jemand in der Wanne eingeschlafen oder im Wasser ersoffen. Das Bad ist blockiert.

In der zweiten Nacht werden wir von energischem Klopfen an der Zimmertür geweckt. Es ist der Wachmann, der irgend etwas von Fahrrädern erzählt. Beim Wort Fahrrad sind wir hellwach. Diese hatten wir eigentlich gut gesichert in einem extra Raum abgestellt.
Mewes geht nach unten um sich zu vergewissern, dass sie an Ort und Stelle sind.
Als er wieder herauf kommt, schildert er die Sorgen des Nachtwächters. Dieser kann unmöglich ohne den geringen Beitrag von fünf Dollar seiner Wachfunktion nachkommen. Und wir möchten doch sicherlich beruhigt weiterschlafen. Auf den Einwand, dass der Kollege und ebenso der Kollege davor bereits den geringen Beitrag von fünf Dollar eingesteckt haben, kommt die Antwort, dass nun wieder ein Wechsel stattgefunden hat und er schließlich nicht einer der beiden anderen ist.
Nun wissen wir auch, warum der Japaner, den wir nach der Tunnelpassage getroffen haben, das komfortable Hotel am dritten Tag gewechselt hat. Er wollte sich den Luxus eines privaten Sicherheitsdienstes nicht mehr leisten müssen.

Grenzstorys

Wir kommen an den Fluss PANC, der gleichzeitig die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan ist. Mal wieder hält uns ein Posten auf. Er möchte unsere Pässe zur Registrierung. Und wie immer zeigt Mewes die Kopien. Doch diesmal ist der Typ damit nicht zufrieden. Er will die Originale. Mewes möchte sie nicht aus der Hand geben, weil es sein könnte, das wir sie nur im Rücktausch gegen eine kleine Spende zurück bekommen. Es wird hin und her diskutiert…. plötzlich macht es : Klack! Und die Tür nach draußen ist verriegelt. Dieses schallende Geräusch ist überzeugend, Macht demonstrierend und zerschlägt jegliche Sturheit. Er zeigt unsere roten Büchlein, der Staatsdiener ist zufrieden und kann die Daten in seine Unterlagen malen.

Der PANC hat ein tiefes Tal geschnitten. Steil ragt der Fels viele Meter neben der Straße empor. Sie ist nicht in bestem Zustand. Viele Steinschläge durchbohren die dünne Asphaltdecke und dort wo nicht die Felsbrocken ihr zerstörerisches Werk vollbringen, dort sind Spuren von Kettenfahrzeugen zu sehen. An manchen Stellen sind Minenfelder ausgeschildert. Doch es soll auch weniger gut ausgeschilderte geben. Die Grenze gilt als reger Schmuggelort für Drogen und Waffen.
Das Zelten und der manchmal notwendige Gang ins Gebüsch wird somit abenteuerlicher. Wir nutzen eine simple Technik. Wir schauen nach frischen Weidespuren. Dort, wo noch vor kurzem eine Tierherde entlang zog, müssen entweder Überreste eines zerrissenen Tieres oder abgefressenes Gras und Fäkalien zu sehen sein.

Betrachtet man die Dörfer auf beiden Seiten des Flusses aus der Ferne, sieht alles sehr friedvoll aus. Parallel verläuft in Tadschikistan die Asphaltstraße und in Afghanistan ein schmaler Pfad, der sich manchmal in atemraubender Höhe und abenteuerlicher Bauweise durch die Felswände schlängelt. Auf beiden Wegen transportieren Menschen ihre Waren. Sie können einander zu winken , können sich grüßen, anschauen oder erschießen.

Zum dritten mal treffen wir auf die englischen Kanuten, die in Tadschikistan die wildesten Gewässer paddeln. Auf den PANC verzichten sie, obwohl er an dieser Stelle sehr seicht dahinplätschert. Sie meinen augenzwinkernd, das er zu viele Löcher ins Boot schlagen könnte.

Die Gegend ist dicht besiedelt. Der Pflanzenwuchs ist karg. Immer wieder wird er von darüber ziehenden Schaf-oder Ziegenherden nieder gefressen. Es ist schwierig einen geschützten Platz fürs Zelt zu finden.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit haben wir Glück. Das Lager ist schnell hergerichtet.
Dann hören wir das freudige Schreien von Kindern. Mist, nun haben sie uns doch entdeckt. Es ist eine Horde Jungen. Das bedeutet oft Spaß, aber auch, wie es in den letzten Tagen vorkam, Streiche und in den Rücken geworfene Steine.
Wie die Indianer schleichen sie sich an. Der mutigste vorne weg. Dann stehen sie zögerlich herum. Beäugen alles. Für uns ein Pluspunkt – sie sind in Zeitnot. Es wird Nacht und sie müssen nach hause.

Regen setzt ein. Die ganze Nacht trommelt er auf die Zeltwand und er lässt erst in den Morgenstunden nach. Wolkenverhangen ist der Himmel. Die Gipfel der Berge sind weiß gepudert. Oben hat es geschneit. Es ist kalt. Die wasserführenden Bäche sind angeschwollen und stürzen zu Tal. Sie überfluten unsere Straße. Mehr als einmal müssen wir die Schuhe wechseln. Das warme Lederwerk gegen ,,Tevas“ umtauschen. Mit den Gummisandalen lässt es sich zwar nassen und kalten, aber sicheren Fußes durchs Wasser waten.
Langsam beginnt die Steigung zum Pass. Die Straße ist schlammig. Die Räder sind kurz vorm Blockieren. Das in Pfützen stehende Wasser spült die Erde immer wieder runter. Dann startet die Sonne ihre wohl tuende Arbeit, nimmt die Feuchtigkeit aus dem Boden und unseren durchweichten Sachen. Was einerseits sehr angenehm ist, wird andererseits nun zur klebrigen Angelegenheit und die Räder stecken fest in der roten Knete. Wir hängen alle Taschen ab und entfernen die dicksten Klumpen. Die Piste vor uns sieht niederschmetternd morastig aus. Wir hoffen auf einen Truck. Es vergeht eine Stunde. Es vergeht eine weitere Stunde. Kein Fahrzeug kreuzt unseren Weg. Außer dem Pfeifen der Hirten und dem Blöken der Schafe gibt es kein Geräusch. Idyllische, unerwünschte Stille. Mewes untersucht die Piste genauer, und läuft ein paar hundert Meter voraus. Freudig stellt er fest, das hinter der nächsten Kurve alles weitestgehend abgetrocknet ist. Wir satteln auf und schieben vorsichtig durch die nasse Passage. Danach rollt es wieder richtig gut und der Truck ist vergessen.

Pamirflüstern

Je weiter man nach Osten fährt, desto geringer ist die Besiedelungsdichte. Das bedeutet, immer Vorräte für mehrere Tage mit sich zu führen.
Nudeln, Tomatensoße , chinesische Tütensuppen, Kekse und Snickers findet man in fast jedem Magazin. (vorausgesetzt man findet das Magazin) Seltener findet man Trinkwasser in Flaschen abgefüllt,denn das Bergvolk trinkt fast jedes Wasser, auch solches, das als Rinnsal vor dem Haus vorbei fließt und einer Pissrinne ähnelt. Man kann hier durchaus als Tourist überleben, auch wenn die erstandenen Waren meistens älter sind, als das Verfallsdatum angibt.
Es gibt vier Möglichkeiten: die eine, man bekommt nach dem Genuss der einheimischen Küche Durchfall, weil die Bedeutung einer sauberen Zubereitung eine dehnbare Auslegungssache ist. Die zweite, man bekommt nach dem Verzehr der abgelaufenen Lebensmittel eine Lebensmittelvergiftung. Die dritte, man hat eine sehr robuste, angepasste Natur oder man ist einfach ein Glückspilz.

In KOROK, der letzten größeren Stadt auf dem Weg nach Osttadschikistan gönnen sich die meisten Reisenden eine Pause. Man hat zu tun. Das Material muss geprüft werden, Vorräte aufgefüllt, E-mails geschrieben, Wäsche gewaschen und der eigene Körper verlangt nach mindestens einwöchiger Vernachlässigung Pflege. Dies ist nicht so einfach, wenn man nicht die Härte eines Wickingers besitzt und sich mit kaltem Wasser duschen möchte, da es draußen ebenfalls kalt ist und ein beheizter Raum, mangels Heizmaterial, etwas seltenes .
In einigen“ Homestays“ gibt es soviel heißes Wasser, das es nicht nur zum Tee trinken reicht. Meistens befindet sich auf dem Hof ein separates Badehaus. In diesem ist ein großer Kessel, mehrere Schüsseln und Töpfchen.
Es kann ein unglaublicher Genuss sein, mit diesen Gefäßen zu hantieren und sich das warme Nass über den Rücken zu gießen.

Bevor wir in die wirkliche Stille des Pamir eintauchen, haben wir eine weitere freundliche Begegnung mit einem Checkpoint. Man erklärt uns, dass wir einen anderen Weg fahren müssen, weil unser GBAO nicht für diese Region gültig ist. … Man könne dies aber mit etwas Bargeld oder Wodka regeln. Wir verstehen mal wieder nichts und je länger ihre Erklärungen dauern, desto blöder schauen wir drein. Schließlich lässt man uns genervt fahren.

Wir nähern uns dem ersten Pass unserer Asientour, der die 4000er Höhenlinie überschreitet. Die letzten Kilometer bis zum Gipfel sind nicht asphaltiert. Wir fühlen deutlich den geringeren Sauerstoffgehalt der Luft. Wir schieben die Räder. Wir fahren einige Meter. Stoppen. Hecheln nach mehr Luft. Fahren weiter.
Schon von weitem sehen wir die wartenden Fahrzeuge. Ein LKW liegt abseits der Piste, 10 Meter weiter unten. Ein paar Leute stehen darum, klettern über den Auflieger oder schauen interessiert in die Fahrerkabine. Der Verunglückte ist nicht zu erkennen. Die Gesichter der anderen schweigen ernst. Sie scheinen zu lagern, denn sie haben ein Feuer entfacht und essen. Auf was warten sie? Wachen sie für den Fahrer oder für die Ladung? Wollen wir es wirklich wissen?Wir hoffen für ihn, dass er weder Verletzt noch tot ist, denn da wäre niemand der ihn hätte professionell retten können. Langsam ziehen wir vorbei.
Auf dem Pass sind Schneereste zu sehen.Wir haben eine Höhe von ca. 4270 m erreicht. In den folgenden Tagen werden wir uns nicht unter 2500m aufhalten. Hier ist es deutlich kühler. Ein schneidender Wind zwingt uns in wärmere Kleidung.
Wir fahren 10 Kilometer weiter, bevor wir das Zelt aufstellen. Die Sonne streift bereits die Bergspitzen. In wenigen Minuten taucht sie ab und in den Schatten werden über Nacht die ersten Eisblumen blühen.

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