Vorhersehbares und anderes

Vorhersehbares und anderes

Goereme – steht bezeichnend (für mich) für spitze Sandsteinformationen,die keck von der Sohle der Canyons in den Himmel zu wachsen scheinen,Ballonfahrten am frühen Morgen im Licht der erwachenden Sonne, Felsenwohnungen und unterirdische Städte. Und wenn man sich Zeit nimmt , kann man sicher vieles mehr entdecken.
Wir verbringen die ersten beiden Tage mit Wäschewaschen, Fahrradwartung, Pflege der anderen Ausrüstung und Beziehungspflege via Internet.

Dann gönnen wir uns einen Rundblick. Und dieser entlockt ein überwältigtes: ,,WOW!“
Mit dem Bus fahren wir auf Exkursion, zur Besichtigung einer unterirdischen Stadt, die zum Schutz der Bevölkerung vor plündernden und mordenden Horden in die Erde gegraben wurde.
Rührend kümmern sich Fahrer und Begleiter um uns, lassen uns im richtigen Ort in den richtigen Bus umsteigen und an der richtigen Station aussteigen. Wir brauchen nur noch an den Teestuben, Restaurants und Mitbringsel-Erinnerungsständen vorbei und wir stehen vor dem Eingang zur Untergrundstadt. Ein kleines Schild weist auf eventuelle Probleme betreffend Herzkreislauf und Platzangst hin. Unsererseits ein Schulterzucken und die Aussage: ,, Keine Ahnung – schau mer mal!“
Gebückt schleichen wir dicht hintereinander durch den in die Tiefe führenden Gang. Er wird immer enger, die Luft stickiger, rechts und links stoßen die Schultern an. Gutes Training für Radfahrer. Die Oberschenkelmuskulatur ist auf Dauerspannung. Wir kommen in einen ersten Raum, der endlich wieder ein aufrechtes Stehen, zumindest für Leute unter 1, 70 erlaubt. Wir sind für einige Minuten nicht mehr allein, zwei andere Besucher entspannen ebenfalls die gemarterte Muskulatur. Dann kriechen sie weiter…. und das Licht verlischt mit einem letzten Flackern. ,,Ups- hat eigentlich jemand eine Taschenlampe dabei?“ klingt es aus dem Dunkeln. Während mein Herzschlag nun doch etwas beschleunigt wahrzunehmen ist, die Hände trotz der Kühle anfangen zu schwitzen, gehen mir Geschichten von Verschütteten, in Höhlen Verirrten oder lebendig Begrabenen durch den Kopf. Alles durcheinander, in wenigen Sekunden…. und das Licht geht wieder an. Die eine Besucherin war aus Versehen mit dem Rucksack gegen eine Lampe gestoßen und hat somit den Wackelkontakt ausgelöst.
Vorsichtig, darauf achtend, wohin wir fassen und treten setzen wir die Entdeckungstour fort – ohne Lampe, vertrauend auf die ausreichende Absicherung einer öffentlichen Einrichtung.
Wir kommen durch weitere Räume, die als Vorratskammern, Wohnstuben, Weinstuben oder Kirche bezeichnet sind. Wir sind beeindruckt vom Gesamtsystem der unterirdischen Fluchtburg.

Als würden wir nicht genug Zeit im Sattel verbringen greifen wir zu den Bikes und nicht zu den Wanderschuhen um zwei Canyons zu erkunden. Eng sind die Schluchten, dadurch schattig und angenehm kühl. Ein leichter Wind und ein Rinnsal,was vielleicht mal ein Bach war, bringen zusätzliche Frische. In die Felswände sind Nischen geschlagen,die noch heute von Tauben als Nistplätze genutzt werden.
Unglaubwürdig, wie eine Fatamorgana, erscheint eine improvisierte Teestube mit- Cowboy-?!. Wir wollen uns von ihrer Echtheit überzeugen und bestellen eine Runde türkischen Tee. Unglaublich bequem liegt es sich in den Polstern. Weit haben wir die Beine von uns gestreckt und genießen den süßen Traum, der sich sehr real anfühlt. Die Zeit verstreicht im Nichts – im Nichtbewegen, im Nichtreden, im Nichtdenken. Dann meldet sich ein lästiges Gefühl – Hunger und es wird Zeit in die touristische Welt zurück zu kehren.

Es ist früher Morgen. Meine Blase bittet um Entleerung. Routinemäßig schaue ich zum Fenster unserer Felsenwohnung hinaus. Wow – ich bin hellwach, mein Vorhaben ist vergessen, ich greife zur Kamera und schlüpfe hinaus auf die Terrasse, von wo ich einen besseren Ausblick habe. Leichter Dunst liegt über den Sandsteinkegeln. Zaghaft sendet die Sonne warmes Licht hindurch. Ich höre das Fauchen der Brenner und über meinen Kopf schwebt der erste Heißluftballon. In der Ferne steigen viele weitere auf. Immer höher in den Himmel, wo sie sich von den Winden treiben lassen über dieses bizarre, wundersam erodierte Tal.
Ein bisschen wehmütig verlassen wir Goereme um tiefer einzutauchen in diese trockene, sandige Landschaft, die uns ansaugt wie ein Strudel, wo uns der Wind umarmt,sanft schiebt oder gemein lachend schüttelt, beutelt und vor den Kopf stupst.
Es ist heiß. Kein Baum, kein Strauch steht am Wegesrand und wirft Schatten. Wir sind der glutherzigen Liebe der Sonne ausgesetzt. Am Horizont taucht ein festungsartiger Bau auf. Bei genauerer Betrachtung entpuppt er sich als Kavanserei. Wir gehen hinein. Sofort umgibt uns Gemütlichkeit. Um einen Hof, der von einem Springbrunnen dominiert wird, reihen sich verschieden große Nischen und Kammern. Sie alle strahlen erholsame Kühle und Geborgenheit aus. Überall sind an den Wänden, die für dieses Land so typischen, Sitzbänke aufgestellt. Im Hintergrund spielt orientalische Musik. Ich habe das große Verlangen mich zu setzen und für lange Zeit nicht wieder weg zu gehen um dieses Gefühl nicht zu verlieren. Es ist kaum zu beschreiben, aber in diesem Moment bin ich auf der Seidenstraße, das erste mal kann ich sie wirklich fühlen. Auch ohne Lasttiere Händler und ihre Waren schwelgen ,,1001 und eine Nacht“ für einen Augenblick in mir…… bis die nächste Reisegruppe herein stolpert.

40 Kilometer vor TRABZON: wir sind wieder auf Meereshöhe. Man sollte annehmen, dass an jeder Küstenlinie ein reger Tourismus betrieben wird. Das heißt, es sollte reichlich Unterkünfte oder gar Campingplätze geben. So aber nicht hier. Oder wir sind zu wählerisch beim Preis- Leistungsverhältnis. Die noch geöffneten Hotels wirken wie Arbeiterherbergen. Und sofort denke ich an Bauwagenwohnsiedlung, haarige Bierbäuche in weißen Unterhemden, Achselschweiß und Fußgeruch. O.K., wenn wir unser Hab und Gut nach einigen Tagen ,,Wildnis“ in geschlossenen Räumen ausbreiten, kommt es durchaus zu ähnlichen Duftaromen, aber wir kennen uns ja….

Wir campen letztendlich auf einem Platz am Meer, der sich zwar Camping nennt, aber anders definiert wird. Er ist eigentlich für Strandaktivitäten am Tag gedacht. Ab einer bestimmten Summe verschieben sich Benutzerrechte und das Übernachten ist möglich. Alle sind glücklich.
Wir bauen die Zelte auf und lassen uns häuslich nieder. Ich schieße ein paar Fotos vom blauen Gewässer mit schwarzem Sand und einer interessant wirkenden einzelnen großen Wolke, die kurz drauf mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit an uns vorbeizieht, obwohl kein starker Wind zu spüren ist.
Phänomenal !!
Und dann geht’s los. Kaum schaffen wir es, alles, was auch ohne Flügel nun fliegen könnte, in Sicherheit zu bringen. Mewes und Wolfgang verzurren die Zelte zusätzlich, ich lege mich hinein. Der Wind nimmt beständig zu und die Männer umklammern die Gestänge aus Angst sie könnten brechen. Dabei werden sie regelrecht gesandstrahlt.
Nach einer halben Stunde legt sich der Sturm, das Meer scheint immer noch zu kochen. Einsetzender Regen treibt die Helden nun doch unter die Plane. Mich schaut ein schwarzes Gesicht verdutzt an, als ich herzhaft lachen muss. Schwarzer Sand klebt auf feuchter Haut und das in jeder Hautfalte, Ritze, Ohren und Augen.

Es wird Dunkel und Ruhe kehrt ein.
Gegen Mitternacht höre ich auf der angrenzenden Straße Reifen quietschen. Zornig brüllen Motoren. Stille. Dann fröhliches Lachen und Geplauder. Wir haben nebenan Besuch. Ein paar Jugendliche machen sich einen netten Abend. Die Zeit verstreicht und die Party wird lauter. Nicht weiter tragisch… Ohrstöpsel rein und die Musik des Mp3 lauter aufdrehen. Weiterschlafen.
Draußen gibt’s Bewegung. Schritte gehen hin und her und die Stimmen nehmen an Lautstärke zu.
Man hat plötzlich Interesse an unseren Behausungen. Es wird drumherum geschlichen, geraschelt, geflüstert und mit Gegenständen geworfen. Langsam ziehen wir die Schuhe an und machen uns bereit für eventuelle Übergriffe.
,,Das sind Kinder mit Kinderstreichen.“ flüstert Mewes
,,Ich werde denen jetzt in den Arsch treten.“ kurz spricht er sich mit Wolfgang ab.
Noch kann ich ihn zurück halten. Ich bin der Meinung, dass sie bald den Spaß verlieren. Ist halt eine Geduldsprobe. Doch dann versuchen sie in die Zelte zu schauen…. und Mewes springt brüllend heraus. Panisch ergreifen sie die Flucht. Mewes wie ein wildes Tier hinterher. Wolfgang und ich können kaum folgen.
Sie sind in der Dunkelheit verschwunden. Mewes ist zurück und untersucht ihren“ Festplatz“. Der Müll ist ordentlich in einer Tüte verschnürt, eine Cola steht noch auf dem Tisch, daneben die angefangene Zigarettenschachtel. Alkohol haben sie nicht getrunken.
Wir behalten ihr Auto im Auge. Sie warten in sicherem Abstand. Wir auch. Dann passiert was…
Sie haben Verstärkung. Den Großen haben wir schon am Nachmittag hier gesehen. Ganz Ruhig räumt er den Platz der anderen auf. Mewes winkt ihn heran. Er kommt und entschuldigt sich für seine Freunde, die zögernd folgen. Per Handschlag wird Frieden geschlossen und jeder zieht sich in sein ,,Revier“ zurück. Wir wollen unsere Ruhe und die Jungs wollen keinen Ärger mit dem Besitzer des Platzes, der mit Sicherheit nicht möchte, dass seine Gäste irgendwelche Unannehmlichkeiten auf seinem Gelände haben.
Geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht mehr.

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