Ein Ort, welcher dem Paradies Konkurrent sein könnte

Ein Ort, welcher dem Paradies Konkurrent sein könnte

Manchmal können nur wenige Worte eine Lawine von Taten ins rollen bringen. Davon möchte ich nun an diesem Regentag berichten.

Eine kurze Erklärung zu unserer Frage, die wir den Besitzern des Campingplatzes stellten: Wir waren unserem Zeitplan voraus, unsere Aufenthaltsgenehmigung für Kanada, die ein halbes Jahr betrug, war noch lang gültig und wir wollten während der Pause nicht von unseren Ersparnissen zehren.

Wir schwitzen in der Sonne, auf dem Erdboden kauernd zupfen wir lästig gewordenes Unkraut aus dem Schotter der Grundstückseinfahrt. Vor dem Empfangsgebäude, einer kleinen Holzhütte, sitzen Marnie und Nickel lässig im Schatten und beobachten uns Eis schleckend. Plötzlich der vorwurfsvolle Ausruf Nickels:“ Moooooom !“ Sie unterhalten sich über uns und Nickel ist darüber empört, dass die Mutter uns wie ,,Sklaven schuften“ lässt.
Später sitzen wir neben ihnen, kühles Bier trinkend und bewundern unsere sauber gezogenen Rasenkanten.

Hinter dem Campingplatz lädt der Kootney River zu Bootsfahrten ein und da lassen wir uns natürlich nicht zweimal bitten. Schnell ist ein Kanu startklar , Barney bringt uns mit dem Pickup 5 Paddelstunden den Fluss hinauf. Sein letzter Tipp: ,,Wenn das Kanu kentert, in Fließrichtung des Kootney links haltend mindestens eine Stunde durch den Busch zur Straße durchschlagen.“… und ab geht’s.
Schon bald umgibt uns nur noch die Musik des mal dahin schießenden, mal wieder sanft fließenden Gewässers. In natürlichen Schleifen windet es sich durch die Wildnis, teilt sich in mehrere Arme, kommt wieder zusammen und trennt sich erneut. Nicht jeder Arm, dem wir folgen erweist sich als optimal, oft versperren umgestürzte Bäume das Vorankommen oder Untiefen lassen das Kanu aufsitzen, aber genau das macht den Reiz des ungezähmten Rivers aus. Es ist herrlich so dahin zu treiben oder mit kräftigen Ruderschlägen gegen die Gewalt des Stroms zu kämpfen. Lebensgenuß pur.
Gerade habe ich die Kamera eingepackt , um durch ersichtliche Stromschnellen zu paddeln, da bewegt sich ein am Ufer stehendes Gebüsch und heraus blinzelt das verdutzte Gesicht eines Schwarzbären. Mist! Das ist mal wieder eine der verpassten Gelegenheiten. Hektisch versuchen wir zu wenden und währenddessen beobachten wir die in einen Baum flüchtenden Jungen. Wir sind zu langsam… sie steigen wieder herab und galoppieren zur Mama, die schon im dichten Wald verschwunden ist.
Wieder im Camp, empfängt uns Barney mit einem Lächeln. Es braucht keine Worte, er weiß, was er uns für ein Geschenk beschert hat.

Bei einem der wöchentlichen Einkaufsfahrten in die 80 Meilen entfernte Stadt entdecken wir Plakate von einem am Wochenende stattfindenden Rodeo. ,,Da müssen wir doch hin, das müssen wir erleben.“ so unsere Gedanken, aber niemand teilt unsere Begeisterung. Das ist doch nur was für Kinder und Cowboys, so die Meinung der anderen, aber ihr könnt das Auto haben und selber hinfahren.

Wir parken auf einer eigens dafür abgegrasten Koppel und lassen uns vom Menschenstrom zur ,,Arena“ treiben. Es riecht nach Zuckerwatte, Eiscreme, Kühen und Pferdekacke. Nervöse Clowns flitzen über den Platz und treiben ihre Späße. Die Cowboys müssen natürlich ihrer Rolle des coolen Mannes gerecht werden und blicken eher gelangweilt, kauend über das Spektakel. Doch schon bald geht die Post ab. Wilde, Sand aufwirbelnde Hufe preschen in die Arena, das Publikum kreischt. Junge Kälber flüchten in panischer Angst, ihre Chancen sind gering, denn zielsicher schwebt die Lassoschlinge über ihre Köpfe und packt zu. Ein letztes Rucken und das Kalb liegt verschnürt am Boden. Kein Mitleid nur die Sekunden zählen.
Etwas fairer scheint der Kampf auf einem bockenden Bullen, denn der weiß sich wirklich zu wehren. Mit riesigen Sprüngen, in alle Richtungen gleichzeitig keilend stürmt er wutentbrannt auf den Platz. Jeder gestürzte Cowboy verliert für einen Moment sein cooles Äußeres und ergreift seinerseits die Flucht vor spitzen rasenden Hörnern.
Bei dem abendlichen Gespräch am Feuer, erzählt Loyd, warum er in seiner Jugend Rodeos bestritt. Kein Mensch ist so wahnsinnig, besoffen oder lebensmüde um auf einen Bullen zu steigen,dem man die Eier zusammen gequetscht hat, wenn es da nicht eine Menge Dollars zu gewinnen gäbe. Denn mit diesem so gewonnenen Geld hat Loyd einen Laden eröffnen können. So ist das amerikanische Leben – nichts weiter als ein Rodeo.

Die fünf Wochen ließen uns das wahre Kanada erleben. Die Tage waren ausgefüllt mit Rasen mähen, Blumen pflanzen, Zimmer putzen, Betten bauen, Feuerholz hauen, Schwimmen, Kanutouren führen, Bären beobachten und Beeren essen und vielem mehr.
Die Abende am Lagerfeuer, das Frühstücken von Pfannkuchen mit Honig und Speck, das intensive Zusammenleben haben uns Wissend und um eine Freundschaft reicher gemacht. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen wir Nickel, Marnie, Barney, die Stammgäste des Camps und den springenden Fluß.

Kilometerstand: 4436
Wetter: der Sommer neigt sich dem Ende

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